römisches Kaiserreich und die EU

Liebe Freunde alter Geschichte, sicher bin ich nicht der erste dem auffällt, dass die Vision eines vereinten Europas viele seiner Wurzeln im röm. Imperium und den Vorzügen der pax romana hat. Einheitlichkeit in Recht, Maßen, Gewicht, Währung, Sprache, politischer Lenkung sowie der Reise- und Niederlassungsfreiheit sind alte Träume, mit deren Realisierung wir uns heute herumschlagen. Egal wie wir zu EU stehen, sie hat für uns große Bedeutung. Daher wundere ich mich seit langem, warum die auf der Hand liegenden Parallelen mit der röm. Kaiserzeit praktisch verschwiegen werden. Ob es um die Reglementierungswut eines Diocletian geht (und seine Folgen!), das erweiterte Bürgerrecht unter Caracalla, verschiedene außenpolitische Einschätzungen zwischen Trajan und Hadrian/Antoninus Pius, Währungsprobleme durch fortschreitende Münzverschlechterung, religiöse Turbulenzen Konstantin/Julian apostata etc. etc. Wenn wir jemals den Versuch machen wollen, aus Geschichte zu lernen, wäre es wohl sinnvoll, die Parallelen zu suchen und eine vergleichende Analyse anzustreben. Besonders betrüblich ist in diesem Zusammenhang das weitgehende Fehlen der röm. Kaiserzeit im Lehrplan der höheren Schulen. Da wird die Entwicklung der röm. Republik bis hin zum Bürgerkrieg abgehandelt - und dann gehts mit der Völkerwanderung weiter. Eine kaum zu glaubende Lücke! Dies führt leider dazu, dass die Aktualität vieler Entwicklungen im 1.-4. Jh. nicht erkannt werden können. Offenbar ist im Ministerium noch die alte Einschätzung am Leben, wonach das röm. Kaiserreich als eine Zeit der Dekadenz, des Verfalls, des Untergangs anzusehen ist, aus der man nichts lernen könne. Das komplexe Thema der Strukturentwicklungen 1.-4. Jh. wird auch im musealen Bereich eher versteckt. Militaria, Kunst- und Schatzfunde interessieren das Publikum allemal mehr. Das Interesse an überschaubaren einzelnen Ereignissen wie z.B. Arminius/Varrus dominiert, wärend Themen wie “Die Villa rustica in Gallien im 2.Jh. und ihre Einbindung in den (damaligen) Welthandel” nun mal schwerer zu greifen sind. Nachdem ich keine Patentlösung bieten kann, sehe ich nur die Möglichkeit, im persönlichen Umfeld zu missionieren und manchen Mitmenschen die Augen zu öffnen. Grüße Martin