Grabungsdokumentation mit Open Source Software (CAD vs. GIS)

Hallo zusammen,

der folgende Text entstand ursprünglich in der Absicht, an dieser Stelle ein Youtube-Video zum Thema QGIS in der Archäologie vorzustellen. Er entwickelte sich dann jedoch zu einer etwas umfangreicheren Abhandlung über kommerzielle und freie Software in der Grabungsdokumentation. :wink:

CAD — Malen nach Zahlen

Bei der Dokumentation archäologischer Ausgrabungen haben digitale Pläne die traditionellen, von Hand angefertigten Zeichnungen so gut wie vollständig abgelöst. Dabei wurde — zumindest in der Landesarchäologie — bis vor einigen Jahren fast ausschließlich die kommerzielle Software AutoCAD verwendet, meist in Kombination mit Zusatzprogrammen wie TachyCAD (für die direkte Sichtkontrolle von Vermessungsdaten [Tachymeter] in Echtzeit) und PhotoPlan (für fotogrammetrische Aufnahmen von Plana und Profilen).

Mit einer solchen Lösung können schnell und effektiv auch große Flächen und komplexe Befundsituationen dokumentiert werden, was gerade bei Ausgrabungen, die unter hohem Zeitdruck durchgeführt werden müssen (etwa im Vorfeld von Bauvorhaben), ein großer Vorteil gegenüber der rein analogen Dokumentation ist.

digital, aber …

Dennoch werden hierbei letztlich nur Stift und Papier durch ein Zeichenprogramm ersetzt. Selbst solche CAD-Pläne, bei deren Erstellung alle Zeichnungselemente in separate, thematisch differenzierte Layer aufgeteilt wurden, sind für eine digitale Weiterverarbeitung und Archivierung oft nur bedingt geeignet.

Das Potential, das ein rein digitaler Workflow von der Ausgrabung bis zur Auswertung und Archivierung böte, wird bei weitem nicht ausgeschöpft. Zum Beispiel können Sachdaten wie etwa die textliche Beschreibung dokumentierte Befunde oder Fotos des Befundes bzw. darin enthaltener Funde nicht oder nur über komplexe und meist zeit- bzw. kostenintensive Umwege mit der Zeichnung verknüpft werden.

Ein weiterer Punkt, der das Kosten-Nutzen-Verhältnis der CAD-gestützten Dokumentation ins Negative kippen lässt, sind die extrem gestiegenen Preise für die benötigten Software-Lizenzen. Insbesondere die Entscheidung der Hersteller, anstelle dauerhaft nutzbarer Lizenzen nur noch zeitlich begrenzt gültige Lizenzen nach dem Mietmodell anzubieten, macht die Nutzung dieser Lösung auf Dauer unbezahlbar.

Mehr Digitalisierung wagen

Es ist daher kein Wunder, dass sowohl in den Landesämtern als auch in der privatwirtschaftlichen Archäologie (“Grabungsfirmen”) zunehmend auf andere Lösungen für einen komplett digitalen Workflow gesetzt wird.

Dafür bieten sich Geographische Informationssysteme (GIS) an, die schon von Grund auf darauf angelegt sind, verschiedenste Datenquellen einzubinden. Damit lassen sich dann eben nicht nur Landkarten (und Grabungspläne) erstellen und ausdrucken, sondern auch Abfragen und Analysen durchführen, Daten in verschiedenste Formate exportieren usw.

Open Source

Im Gegensatz zu CAD-Programmen gibt es zahlreiche GIS-Lösungen als (kostenfrei nutzbare) Open-Source-Software, was nicht nur in finanzieller Hinsicht ein unschlagbarer Vorteil ist.
Einer der größten Vorteile von Open-Source-Software gegenüber proprietärer kommerzieller Software ist eben genau der Umstand, dass der Programmcode offengelegt ist. Damit besteht die Möglichkeit, auf die Weiterentwicklung der Programme Einfluss zu nehmen, z.B. indem man die Programmierung noch fehlender Funktionen finanziert anstatt das Geld dafür auszugeben, dass man eine Lizenz zur Nutzung der Software kauft (oder mietet).

QGIS

Ein mittlerweile auch in der Archäologie stark verbreitetes Werkzeug ist die Open-Source-Software QGIS. QGIS hat sich in den letzten Jahren zu einem extrem leistungsstarken und dennoch benutzerfreundlichen Programm entwickelt, das teuren kommerziellen System mindestens ebenbürtig ist. Es wird schon seit längerem gerne in Forschung und Lehre verwendet und kommt nun auch auf archäologischen Ausgrabungen vermehrt zum Einsatz.

Allerdings zeigt sich im Grabungsalltag, dass es für die speziellen Anforderungen bei der archäologischen Grabungsdokumentation doch noch großes Potential für Verbesserungen gibt, wie Doris Schuller und David Kirschenheuter in ihrem Vortrag auf der FOSSGIS-Konferenz 2019 zeigen:

Gibt’s nicht gibt’s nicht

Problematisch ist vor allem der Umstand, dass QGIS bisher keine hinreichende 3D-Unterstützung bietet, weshalb die Dokumentation von Grabungsprofilen (also vertikalen Flächen) in QGIS nicht über Standardverfahren, sondern nur über Umwege möglich ist.
Auch die direkte Anbindung von Tachymetern und somit eine Sichtkontrolle der Einmessung von Befunden in Echtzeit ist in QGIS bisher nicht standardmäßig etabliert.

Somit sind für den Einsatz auf archäologischen Grabungen essentielle Funktionen in QGIS offenbar noch nicht hinreichend implementiert.

Die genannten Punkte sind — auch wenn das auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint — hervorragende Beispiele für den Vorteil von Open Source Software gegenüber proprietärer, kommerzieller Software: Hier haben die Nutzer die Möglichkeit, das Heft in die Hand zu nehmen und fehlende Funktionen einfach selbst in das Programm zu integrieren.

Tachy2GIS

Als konkretes Beispiel sei hier Tachy2GIS genannt, ein QGIS-Plugin, das die oben beschriebenen Möglichkeiten des CAD-basierten Ansatzes zur Erfassung und Visualisierung von Tachymeter-Messdaten in 3D auf QGIS übertragen und (in Verbindung mit einem weiteren Plugin namens Tachy2GIS_arch) um die Verknüpfung mit archäologischen Sachdaten erweitern soll.
Diese beiden Erweiterungen für QGIS befinden sich bereits auf einigen Ausgrabungen im Praxistest und werden aktiv weiterentwickelt.

Um dieses Projekt zu realisieren, haben sich mehrere Partner zusammengefunden, die gemeinsam die dafür nötigen finanziellen und personellen Ressourcen aufbringen. Dazu zählen das Archäologische Museum Hamburg und das Landesamt für Archäologie Sachsen, das Deutsche Archäologischen Institut (DAI) und der Göttinger Bibliotheksverbund (GBV).

Der Programmcode der Plugins kann über GitHub-Repositories eingesehen und heruntergeladen werden.

Ich hoffe, ich konnte den Unterschied zwischen CAD und GIS ebenso deutlich machen wie den Unterschied zwischen proprietärer kommerzieller Software und Open Source Software. Weiterhin hoffe ich, mit diesem Text auch dazu beizutragen, dass in der einen oder anderen Institution oder Firma darüber nachgedacht wird, sich von dem Konzept “Ich kaufe ein Programm” zu lösen und sich mehr in Richtung gemeinschaftlich vorangetriebener Weiterentwicklung freier Software zu orientieren.

Zum Abschluss noch ein paar Fragen an diejenigen, die bis hier durchgehalten haben und auf Ausgrabungen tätig sind oder waren:

  • Wie werden (oder wurden) Eure Grabungen dokumentiert?
  • Nutzt Ihr noch Stift & Papier, CAD, GIS oder ganz was anderes?
  • Was sind Eurer Meinung nach die Vor- und Nachteile dieser Dokumentationsmethoden?