Paläoanthropologie

Guten Tag, ich möchte Jemanden um Rat fragen: Ich bin Ungarin und bin mit dem Wissen aufgewachsen, dass in Ungarn a) Homo erectus gefunden wurde und zwar. in Vértesszölös b) Neandertaler gefunden u.a. in Subalyuk (Höhle in Nordungarn, Nähe Cserépfalu) zwei Exemplare, davon ein Kind gut erhalten Ich war gerade im Landesmuseum in Darmstadt. Dort wurde der Fund aus Vértesszölös zu den Neandertaler zugeordnet, Subalyuk aber fehlte völlig. Auch im Internet finde ich nur die ungarischen Quellen als Fundstellen. Was ist passiert? Sind die Funde umdatiert worden? Ich wäre sehr dankbar, wenn jemand mir helfen könnte! Mit freundlichen Grüßen Edit Spielmann

Hallo Edit, Verteszöllös ist mir bekannt. Von Subalyuk höre ich zum ersten Mal. Das liegt ja wohl im Bükk-Gebirge, in dem auch einer der frühen Modernen Menschen, nämlich der Mensch von Iskalloskö gefunden wurde. Eine Suche in Google Scholar http://scholar.google.de liefert einiges an Literatur, in denen Subalyuk zumindest erwähnt wird. Darunter ist der Artikel E Delson, K Harvati: Return of the last Neanderthal, Nature, 2006, in dem Subalyuk als älter als 35 000 BP datiert erwähnt wird. Der Artikel Pettitt:The Neanderthal dead:exploring mortuary variability in Middle Palaeolithic Eurasia, in : Before Farming 2002, bestätigt Deinen den Hinweis, dass in Subalyuk ein erwachsener Neandertaler und ein Kind gefunden wurde. Interessant ist die Nähe zum ebenfalls im Bükk-Gebirge liegenden Szeleta, welches Namen gebend für das Szeletièn ist, einer Industrie, die der Übergangszeit vom Neandertaler zum Modernen Menschen zugeordnet wird. Leider ist mir noch keine Publikation bekannt, in der dieser Übergang im Norden Ungarns näher beleuchtet wird, wo wir auf engem Raum sowohl Neandertaler als auch Moderne Menschen haben. Möglicherweise ist dieser Übergang in http://www.springerlink.com/content/v1r13221t2v92055/ näher analysiert, aber das ist ja leider nur das Abstract. Tja, Edit, auf den zweiten Blick lässt sich doch einiges über Subalyuk entdecken. Vielleicht gibt’s noch jemand im Forum, der/die uns noch was über die Datierung sagen kann. Danke für den Hinweis auf diese Fundstelle. Arne

Hi, es gibt eine Monographie zu Vértesszolos, allerdings habe ich da nicht reingeguckt wiel sie bei uns im Aussenlager ist und nicht in der regulaeren Bibliothek. Vértesszolos : site, man and culture / edited by Miklós Kretzoi and Viola T. Dobosi Budapest : Akadémiai Kiadó , 1990. Kurze Zusammenfassung der Fundstelle kann man aber in C. Gamble 1999. The Palaeolithic Societies of Europe finden (Seite 150-151). Es gibt zwei hominiden Funde aus Vértesszolos die beide homo erectus zugerechnet werden. Vértesszolos I besteht aus vier Zaehnen von einem sieben Jahre alten Kind, Vértesszolos II ist ein Schaedelfragment das einem erwachsenem maennlichen hominiden zugerechnet wird (wobei ich hier von der Geschlechtsbestimmung gar nicht ueberzeugt bin). Die Fundstelle datiert ca. 350,000 BP. Das Erscheinen der Neanderthaler wird gemeinhin im Zeitraum von 350,000 BP angenommen. Sollte die Datierung von Vertesszolos korrekt sein kann man annehmen das die Funde neu als Neanderthaler angesprochen wurden. Da die Funde allerdings recht minimal sind ist es wahrscheinlich dass die Palaeoanthropolgen sich nicht einig sind ob nun homo erectus/ heidelbergensis oder neanderthaler… Ist bei ein paar Zaehnen und einem Stueck Schaedelknochen leider nicht sher einfach. Subalyuk ist eine alte Ausgrabung publiziert hier: Bartucz, L, J. Danuzca, F. Hollendorf, O Kadic, M. Mottl, V. Pataki, E Palosi und A. Vendl. 1940. Die Mussolini Hoehle (Subalyuk) bei Cserepfalu. Geologica Hungarica, Series Paleontologica, 14. Informationen gibts auch noch hier: Jelinek, J. 1969. Neanderthal Man and homo sapiens in central and eastern Europe. Current Anthropology 10 (5) p. 475 ff. Smith, F.H. et al. 1982. Upper Pleistocene Hominid Evolution in south-central Europe: a review of the evidence and analysis of trends. Current Anthropology 23 (6), 667-703. Pap, I. Tillier, A.-M., Arensburg, B & Chech M. 1996. The Subalyuk Neanderthal remains (Hungary): a re-examination. Annales historico-naturales Musei Nationalis Hungarici 88, 233-270. Generell ist die Befundsituation der zwei Neanderthaler von Subalyuk nicht gerade klar. Die Grabungen wurden leider nicht sehr ordentlich duchgefuhert, so dass es probleme mit der stratigraphischen Einordnung der Hominidenfunde gibt. Delson und Harvati fuehren leider keine ausfuehrlichen Datierungen fuer Subalyuk in ihrem Aufsazt an und ich wuerde der angegeben Datierung so nicht unbedingt trauen, auch wenn es radiometrische Daten aus Subalyuk gibt (leider habe ich keine genauen Angaben zu C14 daten gefunden - scheint sich also um eine typologische Einordnung der Fundstelle zu handeln). Man kann eben den stratigraphischen Kontext nur schwer rekonstruieren. Kurzum, scheint also ob das Landesmuseum Sulabyuk wahrscheinlich nicht erawehnt da die Fundstelle nicht ‘wichtig’ genug ist und da die Fundzusammenhaenge unklar sind. Was Vertesszolos betrifft wuedre ich mal sagen das die Jungs und Maedels aus Darmstadt wahrscheinlich ihre eigen Interpretation der Fund vorgenommen haben und eben nicht glauben das sie eindeutig homo erectus sind. Gruesse T.

Vielen Dank für eure Antworten! Ich habe mir schon gedacht, dass wir “unser” Neandertaler ein bisschen überschätzen. Schade, dass die Grabung schon so früh (1932) stattfand! Die Knochen mussten erst mal zusammengeklebt werden, nachdem sie unter die Spitzhacke kamen… Heute könnte man sicher mehr rausholen. Ich dachte trotzdem, daß wegen den zahlreichen Werkzeugen, die dort gefunden wurden mal eine Zuordnung vornehmen kann, aber ich bin ja kein Archäologe. Aber wenn ich schon Fachleute am Wickel habe, fällt mir noch eine Frage ein: Was für Menschen waren die Leute der Szeleta-Kultur? Nach meiner Quelle entwickelte sich diese Kultur vor Ort (ebenfalls Bükk-Gebirge) sogar eventuell von der Mousterien-Kultur von Subalyuk. Gáboriné Csák Vera (1980): Der Urmensch in Ungarn. 264 S. (auf ungarisch) Wenn das stimmt, dann haben die etwas von den Neandertaler übernommen, ober waren selber welche?! Das hat mich schon immer gestört…

Morgen erstmal, nein, klar kann man eine allgemeine Zuordnung anhand der gefundenen Werkzeuge vornehmen. Dennoch ist es ein wenig problematisch wenn der stratigraphische Bezug nicht eindeutig waehrend der Grabung geklaert und dokumentiert wurde. Hier kommt es auf die Frequenzen oder Anzahl der verschiedenen Werkzeugtypen, die Arten von Abschlaegen und Kernsteinen an, damit man eine Schicht eben genauer datieren kann. Das Problem entsteht wenn nicht aufgrund einer unzureichenen Grabungsmethode und Dokumentation sicher ist ob x Anzahl Funde nun aus Schicht 22 oder 23 kommen, wenn vielleicht eine Schicht zwischen den beiden liegt die bei der Grabung nicht erkannt wurde oder ob nicht klar ist wie die Genese der Schicht selbst ist. Ist die Schicht ein mehr oder weniger geschlossener Horizont (z.B. wird die Schicht von fundleeren/sterilen Schichten ueber- oder unterlagert) oder ist die Schicht ein Erosionzhorizont oder etwa gestoert (durch Tiere, Pflanzen, Bioturbation etc.). Daher kann man zwar sicherlich schon sagen, dass die Funde in das spaetere Mittlere Palaeolithikum fallen, aber ob das nun spaet-spaet mittleres Palaeolithikum ist oder frueh-spaet macht schon einen Unterchied. Man darf nicht vergessen das Palaeoanthropologen immer noch/ wieder darueber streiten wie sehr oder wie wenig Neanderthaler und moderne Menschen Koexistiert haben oder nicht. Fuer Vertreter von Koexistenzmodellen gilt so viele Neanderthaler Funde so speat wie moeglich zu plazieren damit eine moeglichst lange Koexistenz von homo sapiens und neanderthalensis moeglich wird. Fuer Vertreter der nicht-Koexistenz Modelle gilt dagegen den Zeitraum des moeglichen Kontaktes zwischen beiden Gruppen moeglichst kurz zu halten. Die Szeleta Kultur datiert in fruehere Jungpalaeolithikum und folgt dem Mousterian in der Region unmittelbar auf. Radiocarbon datierungen plazieren das fruehe Jungpalaeolithikum nun auf aelter als 40,000 BP. Mit der Frage ob sich die Szeleta Industrien aus dem oertlichen Mousterian entwickeln sind wir wieder bei der Frage der Kontakte und Beziehungen zwischen Naenderthalern und modernen Menschen. Zum einen aendert sich mit Beginn des Junpalaeolithikums zumindest ein wenig etwas im Bezug auf die Steingaraete-Technologie (generell ein Uebergang vom so genannten Levallois Kernreduzierung zu einer Klingen-Abschlgastechnik hin). Dies wird allgemeinhin als Anzeichen dafuer genommen das Homo Sapiens Gruppen aus dem Nahen Osten nach Europa einwanderten - da homo sapiens ja nach allen gegenwaertigen Erkenntnissen in Afrika als oertliche Entwicklung enstand und von dort weiter nach Eurasien wanderte. Allerdings wissen wir auch aus Israel und nun auch aus Fundstellen in Europa das auch frueh-moderne und moderne Menschen die Levallois-Technologie des Mousterian benutzten. Dass heisst man kann keine klare Trennlinie mehr ziehen in der Frage ob die eine oder andere Industrie ausschliesslich von homo sapiens oder neanderthalensis benutzt wurde. Dennoch ist ganz klar dass homo sapiens irgendwann aus dem nahen osten nach Europa kam und die Vorgaenger der Klingenindustrien des jungpalaeolithikums kann man im Nahen Osten finden (Ksar Akil im Libanon). Also, ums kurz zu machen: die Szeleta industrien folgen sicherlich dem Mousterian nach, aber ob die Menschengruppen die diese Industrie anfertigten nun direkte Nachfahren der Neanderthaler waren ist noch immer gegenstand einer lebhaften Debatte. Meiner Meinung nach (und dies ist gewiss nicht meine bevorzugte Spielwiese) gibt es mehr Hinweise darauf dass Neanderthaler sich zurueckzogen/ verdraengt wurden von homo sapiens Gruppen die aus dem Nahen Osten einwanderten und eine charakteristische Klingentechnologie mit sich brachten; zumindest in sued-zentral Europa. Hoffe das hilft weiter? Gruesse

Noch einmal herzlichen Dank! Jetzt verstehe ich, warum die Beschreibung - wenn es um Szeleta geht - so schwammig gehalten wird! Schade, dass es aus der Region an neuen Funden nichts mehr zu erwarten ist. Ich kenne die Ecke als Höhlenforscher, daher kam ich auch darauf. Aber spannend ist es trotzdem ungemein! Aus meiner Biologensicht ist es nicht unwahrscheinlich, dass die vordringende moderne Menschen manches von den Einheimischen (Neandertaler) abgeguckt haben und es das lokal weiternutzten. Auch wenn die Masse natürlich dann auf die moderne Technolgie umstieg. So, wie Viele immer noch auf Plattenspieler schwören… Also dann, danke für eure Hilfe!

Hallo Toby, da wir mit Pescera cu Oase/Rumänien (35 000BP) und Mladec/Tschechische Republik (31 000 BP) die ersten Modernen Menschen erst viel später zu fassen bekommen, ist, denke ich, die eigenständige Entwicklung der Übergangsindustrien wie des Szeletien aus dem Mousterien wieder wahrscheinlicher geworden. Trotzdem bleiben natürlich die umstrittenen Fragen: Woher kam das bisher allein den Modernen Menschen zugeschriebene Aurignacien und wer waren die Macher der Übergangsindustrien davor? Rein von der Datierung her betrachtet könnte selbst die Elfenbeinkunst der Schwäbischen Alb noch von den Neandertalern gefertigt worden sein. Ksar Akil muss ich mir bei Gelegenheit mal näher betrachten. Arne

Hallo Arne, stimmt was du sagst bezueglich Pescera cu Oase und Mladec. Sicherlich hat man frueher zu sehr auf die Gleichung Levallois = Mousterian = Neanderthaler gegen Klingen = Aurignacian = moderne Menschen gesetzt. Ich kaufe auch das direkte Einwanderungs- und Ersetzungsmodell nicht so ganz. Leider ist die Debatte oft zu krass in ideologische Lager aufgeteilt - der Mittelweg ist ein schmaler Grad. Allerdings kaufe ich auch nicht die letzten spaeten Neanderthal Datierungen aus Gibraltar. Das Argument dass diese eine praesenz der Neadnerthaler bis 28,000 BP andeuten ist aus den publizierten Profilen und C14 Daten mir nicht ersichtlich. Ich kann dazu und zu Ksar Akil Paul Mellars zwei letzten Beitraege in ‘Evolutionary Anthropology’ und Nature empfehlen. (Mellars, P. 2006. Archaeology and the Dispersal of Modern Humans in Europe: deconstructing the ‘Aurignacian’. Evolutionary Anthropology 15, 167-182. Mellars, P. 2006. A new radiocarbon revolution and the dispersal of modern humans in Eurasia. Nature 439(23), 931-935). Die ‘Gegenseite’ ist recht gut von Zilhao und d’Errico vertreten. (Zilhao, J. 2006. Neanderthals and Modern Humans Mixed and it Matters. Evolutionary Anthropology 15, 183-195. d’Errico, F. 2003. The invisible frontier. A multiple species model for the origin of behavioural modernity. Evolutionary Anthropology 12, 188-202). Ksar Akil ist auf jeden Fall wichtig, da ‘Egbert’, dass Skelett eines homo sapiens Kindes (seither leider fuer die wisenschaft verloren gegangen), hier in Assoziation mit Klingen - Technologie gefunden wurde, und nach den neuen C14 Daten auf ca. 47/49,000 cal BP datiert werden kann. Mellars sieht diese als den Ursprung des Aurignacian und des ‘Fumanian’ an. Ich denke in den naechsten Jahren werden wir in Bezug auf diese Fragen noch ein recht lebhafte Debatte sehen. Allerdings wird man schon eine Nenaderthaler Bestattung die eine Venusfigurine oder einen Elfenbeinpferdchen umklammert haelt finden muessen, damit die letzten Zweifel ausgeraeumt werden koennen. :wink: Ich denke aber das die derzeit zur Verfuegung stehenden Funde und Daten ganz klar mit dem Bild des primitiven Neanderthalers aufgeraeumt haben und wir die Urspruenge von ‘Modernem Verhalten’ nochmal zu ueberdenken haben. So jetzt muss ich aber noch husch ein paar Steingeraete klassifizieren… Ciao T.

Hallo Toby, das sehe ich auch so. Habe mir gerade Mellars Aurignacien-Destruktionsartikel rausgeholt; der lag bei mir schon länger auf Halde. D’Erricos und Zilhaos Standpunkte sind mir natürlich bekannt. An den späten südiberischen Neandertaler-Datierungen habe ich auch meine Zweifel. Grüße Arne

Hallo Arne, habe gerade folgenden Aufsatz gefunden mit Bezug auf Gibraltar: Zilhao, J. und Petitt, P. 2006. “On the new dates for Gorham’s cave and the late survival of Iberian Neanderthals.” Before Farming 2006/3 Dachte das ist ganz interessant. Gruss P.S.: Den Aufsatz gibts nur online mit Zugang zu Before Farming. Lass mich wissen ob du daran kommst oder nicht, dann kann ich dir eventuell ein pdf mit dem Aufsatz schicken.