Silex-Sichelfragment oder Spitzklinge?

Hallo,

aus dem Süden Sachsen-Anhalts stammt dieses Silex-Artefakt.
Nun bin ich unsicher in der Ansprache. Dachte ich zuerst, es handelt sich um das Fragment einer Spitzklinge, eventuell sogar aus dem späten Paläolithikum, habe ich es so dargestellt:

Nun erkannte aber ein befreundeter Bodendenkmalpfleger die leichte Krümmung des Fragments. Deshalb diese neue Darstellung:

Ich bin aber verunsichert, ist das Stück doch nur einseitig retuschiert. Sollte eine Sichel nicht beidseitig bearbeitet sein?
Gebrauchsglanz ist nicht zu erkennen.
Da diese Sicheln bei uns untypisch sind, hoffe ich auf Jürgens ( StoneMan ) Hilfe. Natürlich dürfen alle anderen sich auch dazu äußern.

Viele Grüße

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Servus Sven,

ich habe fachlich nichts beizutragen, aber das Stück sieht toll aus. Ich bin gespannt was Jürgen dazu sagt. Glückwunsch zum Fund.

Gruß Shard

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Moin Sven,

Glückwunsch zu diesem Fundstück. :+1:

Da bin ich ganz bei Deiner Unsicherheit.

Eine einseitig retuschierte Sichel ist mir noch nicht untergekommen, weder in Dänemark
noch in Norddeutschland / SH.
Auch meine Fotos aus Schloss Gottorf zeigen keine Sicheln, die nur einseitig retuschiert sind.

Ob der Begriff “Spitzklingen” in Norddeutschland überhaupt Verwendung findet, weiß
ich nicht.
Wohl aber “Dolche” und “Dolchartige Spitzen” bzw. “Flintspitzen”, diese sind aber zweiseitig oberflächenretuschiert.
Flintspitzen gibt es auch in Form der “Speisemesser” (Kühn 1979) im spätneolithischen
Fundspektrum. Davon habe ich ein Fragment, die Spitze.

Näher kommen wir mit Deinem Fund zu den “Spandolchen”, diese haben eine einseitige Flächenretusche.
Auch die Längskrümmung Deines Fundes passt zu den Spandolchen.

Zitat Hans Joachim Kühn:
Spandolche sind stets aus einer Langklinge gefertigt. Kennzeichnend ist die
unbearbeitete Ventralfläche.
Die Dorsalseite zeigt eine umlaufende, steile Randretusche. Diese Retusche kann
gelegentlich auch zur Mitte hin auf die Oberfläche übergreifen.
[…]
Bei der Masse der Spandolche ist die Basis halbrund gestaltet.
Zitat Ende

Gruß

Jürgen

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Vielen Dank, Jürgen!

Spandolche sind mir hier noch nicht untergekommen. Das ist doch eine nordische Spezialität,oder? Aber das trifft es.

Viele Grüße

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Moin Sven,

auf Grundlage meiner gesammelten Werke (PDF / Bücher) ist die
Verbreitung das Spätneolithikum Schleswig-Holsteins und in Dänemark
die Einzelgrabkultur (Enkeltgravskultur), also der Ostseebereich.

Gruß

Jürgen

Hallo,
habe diesen Thread eben jetzt gefunden.
Ja, bei der Ansprache des Stückes als vermutliches Fragment einer Spandolchklinge bin ich auch dabei. Allerdings mit Betonung auf Vermutung da die Ansprache nicht zweifelsfrei festgemacht werden kann.
Was mich allerdings noch etwas stutzig macht ist im Vergleich die deutlich steilere Retusche der rechten Lateralen und die leichte Krümmung des Fragmentes insgesamt. (ich meine nicht die Krümmung der Klinge sondern vom Bruch zur Spitze hin)

Spandolchklingen sind übrigens keine nordische Spezialität, sie gibt es auch im Süden der Republik zu finden.
Anbei ein Foto einer Spandolchklinge aus der Ingolstädter Umgebung. Leider ist bei dieser Klinge auch die Spitze abgebrochen. Die Retusche der Lateralen ist beidseitig. Sie ist ebenfalls wie bei Svens Fundstück auf der rechten Lateralen sorgfältiger ausgeführt


Beste Grüße

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Moin Bucentar,

kann es sein, dass Du mit “keine nordische Spezialität” die Spitzklingen (im Süden) meinst,
die Clemens Pasda im Floss (46. Spitzklingen 457) beschreibt? Pasda betont das Vorliegen
von Übergangsformen zwischen Spitzen und Bohrern.

Hahn, Joachim, Artefaktmorphologie 1993, erwähnt auch, Zitat:
Eine Besonderheit des Neolithikums sind retuschierte Spitzklingen, die infolge vorhandener Schäftungen eindeutig als Dolche anzusprechen sind. Sie werden als Spandolche bezeichnet.
Zitat Ende.

In “Altsteinzeit von A bis Z” Lutz Fiedler et al. werden Spandolche nicht erwähnt, lediglich,
Zitat:
Spitzlinge, eine Klinge mit beidkantiger Retusche, vornehmlich im distalen Bereich.
*Es gibt Übergänge zu spitzen Kratzern, Limaces (Anm. StoneMan, Blattspitzen), Bohrern und anderen archäologischen Spitzen-Typen.
Zitat Ende.

Wenn man weiter forscht, kommt man schwerlich auf einen Konsens.

Gruß

Jürgen

Nachtrag.
OK Du hast mich rechts überholt Bucentaur :wink:
Findet der Begriff “Spandolchklinge” in der dortigen Fachliteratur Verwendung?

Hallo Jürgen,
prinzipiell sehe ich das exakt wie Du. Das sind wieder die alten Begrifflichkeiten über die man immer wieder diskutiert.
Da habe ich doch zu diesem Thema eine herausragende Erläuterung vom sehr geschätzten Jürgen Weiner, ich zitiere ihn:
Und dass ein Begriff wie “Spitzklinge” oder “Spandolchklinge” “nicht definierbar” sein soll, widerspricht jeglicher Erfahrung, gibt es doch nichts anthropogenes, was nicht ebenfalls von Menschen definierbar wäre!

Verweilen wir aber zuerst ein wenig bei diesen Begriffen und lassen ihren ganzen monumentalen Eindruck auf uns wirken. Es handelt sich - wie könnte es anders sein - um typische archäologische Begriffe, die nicht einen Deut hinter jenen nachgerade schon peinlichen Begriffen wie “Schuhleistenkeil, Flachhacke, Breitkeil” u.ä.m. stehen. Dies sind die begrifflichen Hypotheken, die uns die frühen Archäologen - übrigens immer im besten Willen - hinterlassen haben.
Für das weitere Verständnis wichtig ist, dass es sich bei dem Begriff “Spitzklinge” um einen morphologischen, beim Begriff “Spandolchklinge” hingegen um einen technologischen handelt. Dieser Unterschied ist natürlich den Verantwortlichen völlig schnurz und piepe!

Betrachten wir den Begriff “Spitzklinge” etwas näher und fragen uns, was der Createur des Begriffes wohl gemeint haben könnte. Na klar, eine Klinge, die nicht etwa natürlich spitz zuläuft, sondern die an einem Ende zu einer Spitze - lateral und durch Retuschierung - zugerichtet ist. Bei jenem Ende handelt es sich - a priori!!! - regelhaft um das Distalende. Dies würde für alle Klingen jeglicher Zeitstellung gelten. Wir bewegen uns aber im Neolithikum, und somit betrifft das alle entsprechend zugerichteten neolithischen Klingen.

Folglich resultiert das in der Ansprache solcher Stücke wie Nr. 1 auf Tafel 66 in:

R. Kuper et al., Der Bandkeramische Siedlungsplatz Langweiler 9, Gemeinde Aldenhoven, Kreis Düren. Beiträge zur Neolithischen Besiedlung der Altendhovener Platte II, Rheinische Ausgrabungen 18, Teil II (Bonn 1977).

Bei dem erwähnten Stück handelt es sich um einen klingenförmigen Abschlag, der zu recht von J. Weiner als Dechselklinge aus einer Feuersteingrundform entlarvt wurde. Das ist ein wunderschönes Beispiel dafür, wie sich Archäologen ins Knie schiessen können.
Weiner,J., Neolithische Dechselklingen aus Feuersteingrundformen? Anmerkungen zu einem kaum beachteten, einzigartigen Gerätetyp. In: E. Cziesla, T. Kersting & S,. Pratsch (Hrsg.) Den Bogen spannen… (Festschr. für Bernhard Gramsch zum 65. Geburtstag). Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 20, 2, 353-372 (Weissbach).

Wir meinen aber Michelsbergzeitliche “Spitzklingen”, die wir hiermit wie folgt definieren:

Gerät aus einer Grossklinge, häufig aus Rijckholt-Flint, mit ventral-dorsaler Retuschierung zumindest des distalen Klingenabschnittes zu einer lang ausgezogenen Spitze. Die Basis kann kratzerkappenförmig ventral-dorsal zugerichtet, Schäftungshilfen in Form von gegenständigen Kerben können vorhanden sein.

Hahn (1993) 273 hat das ähnlich definiert.
Was nun die “Spandolchklingen” generell betrifft, lass uns das Ganze abkürzen mit folgender Feststellung:

Alle aus Grossklingen/klingenförmigen Abschlägen angefertigten “Spandolche” sind Spitzklingen, aber nicht alle Spitzklingen sind Spandolche!

Klar entsteht die Frage: Was ist ein Spandolch? Vgl. hierzu allgemein:

K. Stegen, Der Spandolch in der nordwestdeutschen Einzelgrabkultur. Hammaburg 8, 1952, 161-166. Zitat Stegen: “Ich ziehe die Benennung Spandolch vor, da einmal ihre dolchartige Form, zum anderen aber ihre Anfertigung aus einem mehr oder weniger großen Feuersteinspan in diesem Namen zum Ausdruck kommen” (ebd. 161).

Halten wir ansonsten den Ball flach und stellen fest, dass der Begriff aus zwei Teilbegriffen zusammengesetzt ist, “Span” und “Dolch”. Unter Span verstanden die frühen Archäologen - wie gesehen - eine Klinge, das soll genügen. Dolch ist zwar selbsterklärend, aber wir wollen doch auf eine weitere Arbeit von J. Weiner verweisen, der hierzu folgendes zu entnehmen ist:

“Die landläufige Bezeichnung Dolch ist - wie zahlreiche andere Bezeichnungen steinzeitlicher Artefakte - forschungsgeschichtlich bedingt, grundsätzlich jedoch irreführend. Ein Dolch ist eine Waffe, und zwar eine Stoßwaffe. Die Verwendung dieser Bezeichnung für bestimmte urgeschichtliche (Feuerstein-)Artefakte impliziert also deren ehemaligen Einsatz als Stoßwaffen, obwohl ihre urpsrüngliche Zweckbestimmung letztlich unbekannt ist; vgl. J. Filip, Dolch. In: Enzyklppädisches Handb. Ur.- u. Frühgeschi. Europas 1 (1966) 294f. Und so stellt die Mehrzahl der Dolche, die ungeschäftet auf uns gekommen sind, strenggenommen nur einen Teil des ehemaligen Gerätes dar und ist somit als Dolchklkingen zu bezeichnen…” (Weiner,J., Zwei endneolithische geschulterte Dolchklingen aus dem Rheinland. Boinner Jahrb. 197, 1997, 124-146).

Tatsächlich waren das - wie Gebrauchsspurenanalysen ergeben haben - Allzweckmesser.
Zusammenfassend ergibt sich, dass es sich bei den Michelbergzeitlichen sog. Spitzklingen - da aus Grossklingen hergestellt - um Spandolchklingen handelt, genauso wie bei den spät- oder endneolithschen Spandolchen aus “geschulterten” Grundformen oder den Spandolchen aus Grand-Pressigny-Flint. Interessanterweise werden Letztere nicht als Spitzklingen bezeichnet - obwohl sie selbstverständlich definitionsgemäss darunter fallen!
Zitat Jürgen Weiner Ende
Ich wollte damit allerdings hier nicht ein Fass aufmachen.
Beste Grüße Bucentaur

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Vielen Dank, Ihr werdet Recht haben. Meine vage Hoffnung war, dass sich ein Zusammenhang zu den in der Nähe befindlichen Schlagplätzen des Spätpaläolithikums herstellen könnte. Da die Trümmer, Abschläge, Klingen und Kerne da aber auch meist patiniert sind, kann ich meine Hoffnung hier wohl aufgeben.

Aber aus solchen Diskussionen lerne ich immer viel!

Viele Grüße

Hallo Sven,
so gänzlich ausschließen kann man anhand eines einzelnen Lesefundes und zwar genau dieses Stückes ein Spätpaläolithikum eigentlich nicht. Schau mal in den Floss auf die Seiten 470 oder auch S. 458. Aber da bin ich zu weit weg von Dir, ich kann nicht beurteilen wie paläolithische Hornsteine/Silices in Deiner Fundgegend aussehen.
Beste Grüße
Bucentaur

Moin Bucentaur,

da haben wir wohl (heute) den selben (!) Beitrag von Jürgen Weiner gelesen. :grinning_face:

Ich kann damit leben, dass die archäologischen Begrifflichkeiten keinem Gesetz unterliegen.

Denke an den “Verlust” eines Forenmitgliedes, der mit dem “Löffelschaber” nicht klarkam und
das Forum verlassen hatte. Es wird nie einen “Löffelkratzer” geben - nimmer.

Und obwohl fast jeder eine Klinge “Klinge” nennt, hat irgendwer aus eine Klinge einen “Span” gemacht, warum also nicht ein Spandolch, statt Klingendolch…

Es hat noch nicht jeder gecheckt, aus welchen Ecken und Zeiten die “archäologischen Begrifflichkeiten” kommen und ebenso nicht gescheckt, dass es immer auch zu Veränderungen
und Verbesserungen kam.

Die Archäologie als wissenschaftliche Disziplin ist, gemessen an den Äonen,
die sie erforscht, nur ein paar Tage alt.

Bis neulich :wink:

Jürgen

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Hallo,
hier ein paar Oberflächenfunde von einer inzwischen ergrabenen Stelle mit mehreren Schlagplätzen des späten Paläolithikums:

Viele Grüße

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