Hallo Jürgen,
prinzipiell sehe ich das exakt wie Du. Das sind wieder die alten Begrifflichkeiten über die man immer wieder diskutiert.
Da habe ich doch zu diesem Thema eine herausragende Erläuterung vom sehr geschätzten Jürgen Weiner, ich zitiere ihn:
Und dass ein Begriff wie “Spitzklinge” oder “Spandolchklinge” “nicht definierbar” sein soll, widerspricht jeglicher Erfahrung, gibt es doch nichts anthropogenes, was nicht ebenfalls von Menschen definierbar wäre!
Verweilen wir aber zuerst ein wenig bei diesen Begriffen und lassen ihren ganzen monumentalen Eindruck auf uns wirken. Es handelt sich - wie könnte es anders sein - um typische archäologische Begriffe, die nicht einen Deut hinter jenen nachgerade schon peinlichen Begriffen wie “Schuhleistenkeil, Flachhacke, Breitkeil” u.ä.m. stehen. Dies sind die begrifflichen Hypotheken, die uns die frühen Archäologen - übrigens immer im besten Willen - hinterlassen haben.
Für das weitere Verständnis wichtig ist, dass es sich bei dem Begriff “Spitzklinge” um einen morphologischen, beim Begriff “Spandolchklinge” hingegen um einen technologischen handelt. Dieser Unterschied ist natürlich den Verantwortlichen völlig schnurz und piepe!
Betrachten wir den Begriff “Spitzklinge” etwas näher und fragen uns, was der Createur des Begriffes wohl gemeint haben könnte. Na klar, eine Klinge, die nicht etwa natürlich spitz zuläuft, sondern die an einem Ende zu einer Spitze - lateral und durch Retuschierung - zugerichtet ist. Bei jenem Ende handelt es sich - a priori!!! - regelhaft um das Distalende. Dies würde für alle Klingen jeglicher Zeitstellung gelten. Wir bewegen uns aber im Neolithikum, und somit betrifft das alle entsprechend zugerichteten neolithischen Klingen.
Folglich resultiert das in der Ansprache solcher Stücke wie Nr. 1 auf Tafel 66 in:
R. Kuper et al., Der Bandkeramische Siedlungsplatz Langweiler 9, Gemeinde Aldenhoven, Kreis Düren. Beiträge zur Neolithischen Besiedlung der Altendhovener Platte II, Rheinische Ausgrabungen 18, Teil II (Bonn 1977).
Bei dem erwähnten Stück handelt es sich um einen klingenförmigen Abschlag, der zu recht von J. Weiner als Dechselklinge aus einer Feuersteingrundform entlarvt wurde. Das ist ein wunderschönes Beispiel dafür, wie sich Archäologen ins Knie schiessen können.
Weiner,J., Neolithische Dechselklingen aus Feuersteingrundformen? Anmerkungen zu einem kaum beachteten, einzigartigen Gerätetyp. In: E. Cziesla, T. Kersting & S,. Pratsch (Hrsg.) Den Bogen spannen… (Festschr. für Bernhard Gramsch zum 65. Geburtstag). Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 20, 2, 353-372 (Weissbach).
Wir meinen aber Michelsbergzeitliche “Spitzklingen”, die wir hiermit wie folgt definieren:
Gerät aus einer Grossklinge, häufig aus Rijckholt-Flint, mit ventral-dorsaler Retuschierung zumindest des distalen Klingenabschnittes zu einer lang ausgezogenen Spitze. Die Basis kann kratzerkappenförmig ventral-dorsal zugerichtet, Schäftungshilfen in Form von gegenständigen Kerben können vorhanden sein.
Hahn (1993) 273 hat das ähnlich definiert.
Was nun die “Spandolchklingen” generell betrifft, lass uns das Ganze abkürzen mit folgender Feststellung:
Alle aus Grossklingen/klingenförmigen Abschlägen angefertigten “Spandolche” sind Spitzklingen, aber nicht alle Spitzklingen sind Spandolche!
Klar entsteht die Frage: Was ist ein Spandolch? Vgl. hierzu allgemein:
K. Stegen, Der Spandolch in der nordwestdeutschen Einzelgrabkultur. Hammaburg 8, 1952, 161-166. Zitat Stegen: “Ich ziehe die Benennung Spandolch vor, da einmal ihre dolchartige Form, zum anderen aber ihre Anfertigung aus einem mehr oder weniger großen Feuersteinspan in diesem Namen zum Ausdruck kommen” (ebd. 161).
Halten wir ansonsten den Ball flach und stellen fest, dass der Begriff aus zwei Teilbegriffen zusammengesetzt ist, “Span” und “Dolch”. Unter Span verstanden die frühen Archäologen - wie gesehen - eine Klinge, das soll genügen. Dolch ist zwar selbsterklärend, aber wir wollen doch auf eine weitere Arbeit von J. Weiner verweisen, der hierzu folgendes zu entnehmen ist:
“Die landläufige Bezeichnung Dolch ist - wie zahlreiche andere Bezeichnungen steinzeitlicher Artefakte - forschungsgeschichtlich bedingt, grundsätzlich jedoch irreführend. Ein Dolch ist eine Waffe, und zwar eine Stoßwaffe. Die Verwendung dieser Bezeichnung für bestimmte urgeschichtliche (Feuerstein-)Artefakte impliziert also deren ehemaligen Einsatz als Stoßwaffen, obwohl ihre urpsrüngliche Zweckbestimmung letztlich unbekannt ist; vgl. J. Filip, Dolch. In: Enzyklppädisches Handb. Ur.- u. Frühgeschi. Europas 1 (1966) 294f. Und so stellt die Mehrzahl der Dolche, die ungeschäftet auf uns gekommen sind, strenggenommen nur einen Teil des ehemaligen Gerätes dar und ist somit als Dolchklkingen zu bezeichnen…” (Weiner,J., Zwei endneolithische geschulterte Dolchklingen aus dem Rheinland. Boinner Jahrb. 197, 1997, 124-146).
Tatsächlich waren das - wie Gebrauchsspurenanalysen ergeben haben - Allzweckmesser.
Zusammenfassend ergibt sich, dass es sich bei den Michelbergzeitlichen sog. Spitzklingen - da aus Grossklingen hergestellt - um Spandolchklingen handelt, genauso wie bei den spät- oder endneolithschen Spandolchen aus “geschulterten” Grundformen oder den Spandolchen aus Grand-Pressigny-Flint. Interessanterweise werden Letztere nicht als Spitzklingen bezeichnet - obwohl sie selbstverständlich definitionsgemäss darunter fallen!
Zitat Jürgen Weiner Ende
Ich wollte damit allerdings hier nicht ein Fass aufmachen.
Beste Grüße Bucentaur