Steinwerkzeuge / Abschläge?

Lieber @SvenHorn ,

vielen Dank für Deine ausführliche und überaus interessante Antwort! Es ist spannend zu lesen, was Du anhand der äußeren Merkmale für Rückschlüsse und Zusammenhänge herstellen kannst! Das weckt glatt das Interesse in mir, mich mehr mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.

Da Du Dein Augenmerk auf “Fund 3” gelegt hast, habe ich nochmals ein paar Bilder mit seitlicher Beleuchtung gemacht. Auf den beiden linken Bildern ist dann in etwa mittig die vermeintliche Schlagnarbe und davon ausgehend Wallnerlinien zu erkennen, wenn ich das richtig verstanden habe oder?

Beste Grüße




Moin,

das ist ja die Höhe, da meldet sich jemand formvollendet an, bekundet seine
archäologische Unwissenheit und haut er uns zudem eine Dokumentation um die Ohren,
wie sie besser kaum sein kann.

Herzlich willkommen :blush:

Die schlechte Nachricht vorweg, leider sind es keine Artefakte, an denen wir zielgerichtete (artifizielle) Bearbeitungsmerkmale ausmachen können.

Svens Anmerkung, dass Feuerstein bei euch als nordisches Geschiebe vorkommt und uns gerne Artefakte vorgaukelt, ist korrekt, aber in der vermutlich geringen Ausbreitung bemerkenswert.

Pseuodofakte, Geofakte und Eolithen von Artefakten zu unterscheiden ist mitunter sehr schwer, bisweilen bleibt ein Fragezeichen - im vorliegenden Fall sind sich mehrere User einig, dass es keine Artefakte sind.

Deine gute Beobachtungsgabe musst Du nutzen - behalte weiterhin die Augen auf.
Wenn weitere Funde kommen, nur her damit.

So, bekanntlich kommt das Beste zum Schluss.

@ Stefan,

ich erlaube mir, Dich gewissermaßen zum Ritter zu schlagen. Die Umsetzung meiner Vorlage
zu den erforderlichen Ansichten hast Du perfekt umgesetzt.
Andere benötigen dafür viele Lehrstunden - einige lernen es nie.

Du gehörst somit zu meinen besten Schülern. :medal_sports::trophy:

Gruß

Jürgen

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Eine so gut vorbereitete Anfrage habe ich hier noch nie gelesen! Und ich gratuliere zum „Ritterschlag“ durch StoneMan.

LG Barbara

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Moin Jürgen,

vielen Dank für die herzliche Aufnahme hier im Forum :slight_smile:

Da bringst Du mich ja glatt in Verlegenheit. Wenn Du schon solch hilfreiches Material anbietest, warum dann nicht nutzen :wink: Meiner Meinung nach ist es das Mindeste, bei einer Anfrage eure Empfehlungen und “Richtlinien” zu berücksichtigen. Es ist schließlich eure Zeit und Expertise, die beansprucht wird und bei eurem Engagement sollte man die einem Laien möglichen Voraussetzungen schaffen, damit es euch wiederum leichter von der Hand geht.

Ihr habt alle ohnehin mein Interesse für die Thematik geweckt. Ich werde mich sicherlich mal wieder melden, sollte ich etwas finden das augenscheinlich “artifizielle bzw. intentionale” Merkmale aufweist (ich hoffe, ich habe damit den richtigen Fachterminus getroffen :smiling_face:).

Apropos, habt ihr zufällig ein Glossar o. Ä., damit sich Anfänger schneller in die Materie einfinden können (was bedeutet verrollt, artifiziell, Bulbus, Gerätetypen etc.)? Bzw. habt ihr Literaturvorschläge, die einen guten Einstieg für Fachfremde bieten?

Herzliche Grüße
Stefan

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Hallo Stefan,
da bist du hier genau richtig.
Bestimmt hat hier jemand was für dich.
Wenn du etwas über Keramik brauchst, bitte einfach eine PN
Weiter so :+1:
Wir freuen uns auf deine nächsten Funde.
Viele Grüße
Oli

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Moin Stefan,

kein Grund verlegen zu sein, das müssen andere. Du darfst Dich einfach nur freuen.

Das freut uns wiederum - melde Dich gerne, wenn Du ähnliche Flinte findest.

Leider gibt es meines Wissens keine gute Arbeit für Anfänger, selbst in 80-Euro-Werken befindet sich mitunter kein Glossar.

Zu Deinen Beispielen:
Artifiziell” > Artefakt aus lateinisch ars (ursprünglich) „Bearbeitung“ und făcĕre „machen, herstellen“, Wikipedia,
“Intentionell”, eben mit Intention / Absicht.

Verrollt = Kanten und Grate bestoßen
Bulbus = Wölbung, Verdickung auf der Ventralfläche eines Abschlages; am Rand gelegener Schlagbuckel unterhalb des Schlagpunktes, oft mit Schlagkegel; am Kern verbleibt ein Negativ-Bulbus
Gerätetypen = Werkzeugtypen /-arten (Schaber, Kratzer, Bohrer…)

Ein eigenes Glossar aus meinen Notizen kann ich Dir zukommen lassen.
Sende mir per PM eine E-Mail-Adresse.

Gruß

Jürgen

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Ich möchte noch einmal auf den Fund Nr.3 zurückkommen. An dem können wir vielleicht viel lernen.
Nun bin ich auch nur Laie und kein Spezialist. Aber ich habe in den letzten 20 Jahren einiges gelernt, hoffe ich. Deshalb möchte ich zu Fund 3 meine Meinung äußern.
Das Stück weißt ja tatsächlich einige Merkmale auf, die auf ein Artefakt deuten könnten.
Die neuen Bilder zeigen sehr schön die Wallnerlinien. Diese sollten bei einer zielgerichteten Bearbeitung konzentrisch von einem Schlagpunkt ausgehen. Hier sind sie wesentlich breiter. Beim Schlagen entstehet ein Schlagkegel (Bulbus), von dem aus diese Linien kreisförmig ausgehen. Ebenso entsteht dabei in der Regel eine Schlagnarbe am Abschlag, deren Richtung in eine andere, als die Schlagrichtung ist.
Nun hat das Stück, wie ein Abschlag, eine Dorsalseite (Rücken) mit mehreren Negativen. Diese sind aber nicht zielgerichtet und weisen in unterschiedliche Richtungen. Damit ist es kein klares Artefakt.
Auch eine Ventralseite wäre vorhanden. Diese zeigt zwar den Schwung eines Abschlags und eine Schlagnarbe aber keinen deutlichen Schlagkegel, von dem aus die Wallnerlinien ausgehen. Auch gibt es, soweit ich sehen kann keine geeignete oder gar präparierte Schlagfläche.
Es gibt sogar einige Absplitterungen, die wie Retuschen aussehen. Sie sind aber zu unregelmäßig und wenig sinnvoll.
Das Stück würde meiner Meinung nach durch Druck oder nicht zielgerichtete Gewalt geformt.

Ich bitte um weitere Meinungen, falls ihr noch weiteres zum Stück beitragen könnt oder mich zu korrigieren, wenn ich hier etwas falsch darstelle.

Viele Grüße

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Moin,

@ Sven,

da stimme ich Dir vollumfänglich zu.
Es verdeutlicht die Schwierigkeit einer Bestimmung von Artefakten im Allgemeinen und im Besonderen durch Fotos, selbst wenn sie, wie hier, von guter Qualität sind.

Meinen Satz, “Die schlechte Nachricht vorweg, leider sind es keine Artefakte, an denen wir zielgerichtete (artifizielle) Bearbeitungsmerkmale ausmachen können.”, muss man auch genau deuten, denn die Betonung liegt im letzten Teil (fett markiert).

Das soll bedeuten, selbst wenn Fotos sehr gut sind, dass dennoch nicht alles zu sehen ist, wie wenn man es vor Augen hat und drehen und wenden kann.

Aus meinen “Notizen”:

“Wie erkenne ich ein steinzeitliches Artefakt”?

Das Thema, “Erkennen von Artefakten”, ist zu komplex, als dass es mit nur einem Satz beantwortet werden kann.

Viele Artefakte aus der Steinzeit bestehen aus diversen Gesteinsarten. Die Spaltbarkeit und das Bruchverhalten der Gesteinsarten sind unterschiedlich.
Der gut spaltbare Feuerstein war ein beliebter Rohstoff. Doch selbst der Feuerstein weist je nach Qualität unterschiedlich ausgeprägte Merkmale auf.

Häufige Abschlagmerkmale sind Schlagflächenrest, Bulbus und Wallnerlinien. Vielfach sind aufgrund nachträglicher Modifikation Retuschen vorhanden.
Gelegentlich sind Schlagpunkte auf den Schlagflächen, Schlagnarben am Bulbus oder Lanzettsprünge auf den Abschlagbahnen erkennbar.

Die meisten Merkmale, die durch Schlag oder Druck auftreten, können sowohl mit Absicht vom Menschen, als auch durch natürliche Prozesse ähnlich entstehen.

Demgemäß kann und darf sich die Beantwortung dieser Frage nicht nur auf das Vorhandensein ein paar typischer Merkmale beschränken. Dies könnte dazu führen, dass der Finder Artefakte verwirft, weil sie keine typischen Merkmale aufweisen.

Natürlich erleichtern Merkmale wie Schlagflächenrest, Bulbus und Retuschen die Bestimmung eines Fundobjektes, der Einsteiger muss jedoch wissen, dass sie nicht zwingend erforderlich für ein Artefakt sind.

Gruß

Jürgen

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Ich habe hier beispielsweise eine Silexklinge, welche auch kaum typische Bearbeitungsspuren zeigt.

Es gibt keinen Bulbus, da dieser entfernt wurde, wenige unspezifische Wallnerlinien und keinerlei Retusche.
Dennoch ist das auf Grund ihrer Merkmale wie Länge, Schlagrichtung, Grate auf der Dorsalseite ein eindeutiges Gerät.
Zumal sie aus dem unmittelbaren Umfeld einer wohl frisch ausgeackerten Linienbandkeramischen Grube stammt. Ich habe da im Umkreis weniger Meter 27 Scherben, drei Silex-Artefakte und zwei Fragmente von Felsgesteingeräten gefunden. Einige Scherben weisen Verzierungen auf, die sie eindeutig in die Linienbandkeramik um 5000 v.Chr. einordnen.


Das war natürlich ein einmaliger Fund in meinen 20 Jahren des Feldbegehens. Allein die unversehrte Feuersteinklinge mit ihre ungewöhnlichen Länge ist schon ein besonderer Fund, die verzierten, relativ großen Scherben, die sich eindeutig zeitlich einordnen lassen und gleich zwei Felsgerätefragmente an einer Stelle vervollständigten die Situation.

Viele Grüße

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Hallo Sven,
ja,
es handelt sich um eine Klinge die jedoch nicht weiter modifiziert wurde, heißt keine Retuschen und keine Gebrauchsspuren.
Die Klinge wäre möglicherweise als Werkzeug nutzbar gewesen.
Derartige Stücke finden sich relativ häufig auf Bandkeramischen Siedlungsplätzen.
Beste Grüße
Bucentaur

Moin in die Runde,
Und moin Mago,
Ich selbst habe vor etwa zwei Jahren ein ähnliches Fundstück wie du gefunden, das viele Bearbeitungs Merkmale hat, aber in einem Forum nicht eindeutig als solches identifiziert werden konnte. Es hat mich ebenfalls fasziniert, und ich hab mich seitdem mit dem Thema bschäftigt und konnte schon ein paar ganz gute, eindeutige Funde machen. Auch der Fundort meines ersten Fundes hat sich als durchaus produktif entpuppt, als erstmal der Blick geschärft war. Ich würde empfehlen an der Fundstelle oder in der Umgebung nochmal weiter die Augen offen zu halten, denn die meisten Werkzeuge finden sich räumlich relativ begrenzt, aber dafür in großer Anzahl, eben da wo vor Jahrtausenden einmal eine Siedlung oder Rohstoffe Quelle war. Da kommt vielleicht noch was.
Zum Thema informationsquellen würde ich einfach mal in diesem Forum und in anderen Foren ein paar Beiträge lesen. Von den Diskussionen kann man oft genauso viel lernen als aus der häufig auf typologisch eindeutige Funde reduzierten Lieratur und Dokumentation.

Alles Gute
Schoersch

Moin,

aufgrund welcher Erfahrung beruht Deine Aussage und wie begrenzt meinst Du das (in Metern / Kilometern)?

Gruß

Jürgen

Ich meine das absichtlich sehr allgemein gefasst, ohne präzise räumliche Abgrenzung. Ich meine es gibt eine “Fundstreuung” die ein Ursprung oder Zentrum hat, wo die größte Aktivität statt findet. Von dort ausgehend nimmt die Wahrscheinlichkeit dass Objekte verworfen oder verloren gegangen sind ab, und zwar nicht nur bei Steinzeit Artefakten, sondern auch bei anderen Spuren Menschlicher Aktivitäten. Sogar Fossilien treten in Konzentrationen auf. Die Art des Zentrums hängt von der Art der Aktivität ab. Also wenn man eine Siedlungen als Beispiel nimmt, wäre es der Siedlungsraum. Es kann allerdings auch eine Rohstoffquelle oder Transport Achse sein (in dem Fall eher ein lineares Zentrum). Auf Grund meiner wie gesagt noch geringen Erfahrung von wenigen Fundplätzen würde ich etwa 200m radius vorschlagen, vielleicht entsprechend der Siedlungsgrösse an diesen Stellen? Bei Fundberichten zum Beispiel in Foren oder Publikationen werden manchmal sogar Umfänge von nicht mal 20m als “Hotspot” genannt. Dann können Konzentrationen durch Erosionsprozesse, also Verschleppung enstehen. Ich denke das Thema ist zu komplex um hier ausreichend erläutert zu werden, und mir fehlt das nötige Fachwissen. Was ich als Laie allerdings überraschend fand, ist das Artefakte nicht gleichmässig verteilt liegen, dass auf 10 Ackern kein einziges Stück zu finden ist, und dann plötzlich die Abschläge wie Pilze aus dem Boden kommen, ganz unwissenschaftlich ausgedrückt :wink:

Moin Schoersch,

hier ist genau der richtige Platz, um das ausgiebig zu erörtern.

Gruß

Jürgen

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Hallo Schoersch,
da kann man sich pauschal bei Oberflächenfunden überhaupt nicht festlegen.
Da spielen recht viele Faktoren mit rein.
Handelt es sich bei dem Acker um eine Fläche die z.B. über Jahre in Hangrichtung bewirtschaftet wurde oder wird quer zum Gefälle gepflügt, wie lange wurde das Feld bewirtschaftet wie ist die Bodenbeschaffenheit, handelt es sich um einen Platz mit Paläolithischen Artefakten oder sind wir im Mesolithikum oder Neolithikum unterwegs. Eine große Rolle spielt natürlich auch die Belegungsdauer des Siedlungsplatzes. Ich kenne Siedlungen die über die Bandkeramik, Stichband, Rössen bis in die Bronzezeit besiedelt waren und dies alles auf ca. 2.000 bis 3.000m². Bei Paläolithischen Fundstellen ist es gut möglich das nur alle 3 bis 5 Jahre mit einem als Werkzeug genutzten Artefakt gerechnet werden kann. Meine Erfahrungswerte beruhen auf einigen Jahrzehnten Feldbegehungen.
Beste Grüße
Bucentaur

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Moin,

@ Bucentaur,

ganz hervorragende, ausführliche Darlegung :+1:

Und nun muss man sich vorstellen, dass Prospektionsflächen auch mal 30.000 m² oder gar 300.000 m² und größer sind.

Bei mir ist es so, dass mitunter ein Jahr übers andere ein völlig anderer Acker vorliegt.
Auf einem Acker 2000 m x 600 m (!) gab es über Jahre Leerstellen (Null Funde, nur artifizielle Trümmer) und dann plötzlich feine Artefakte.
Ebenso ist plötzlich ein Fundplatz leer, der über Jahre viele Artefakte hergab.

Ein Fundplatz brachte einige Kerne - prima - ein “Werkplatz”, da kommt noch mehr!
Dachte ich. Mitnichten, seit Jahren nur Müll.

Selbst über Jahrzehnte kann man kaum eine belastbare Aussage über Fundvorkommen machen.

Fazit: Eine Erhebung des Fundaufkommens ist immer nur eine Momentaufnahme.

Gruß

Jürgen

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@StoneMan,
genau so ist es,
ähnliches erlebte ich auch
Beste Grüße
Bucentaur

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Toll, ehrlich danke für die ausführlichen Schilderungen! Vorallem spannend zu hören wie Fundplätze so starken Schwankungen unterliegen. Das liegt dann bestimmt an anderen Landwirtschaftlichen Praktiken, oder? Mein erster Fundort wird nicht mehr gepflügt, der Bauer grubbert nur und dann kommt vor dem Mais Glyphosat drauf :frowning:
Beste Grüße,
Schoersch

Moin,

@ Schoersch,

weißt Du den Unterschied der Plätze bezüglich der jeweiligen Belegungsdauer im
Paläolithikum, Mesolithikum und Neolithikum?

Gruß

Jürgen

Bis jetzt nur frühe BZ, und weil nicht mehr gepflügt wird, kommt nichts mehr hoch. Ist eine bekannte Fundstelle. Ich bin im Winter nochmal dort, mal gucken ob doch noch was zu finden ist…