Moin Moin,
ich bin neu hier im Forum und arbeite als Restaurator in einer Einrichtung einer Kreisarchäologie. Da Das Thema der Magazinierung mich momentan stark beschäftigt, möchte ich hier einen Impuls für eine Diskussion geben.
Unsere Magazine sind randvoll mit Funden aller Art und wir müssten eigentlich unsere Grabungstätigkeit einstellen, was natürlich nicht geht. Was mir im Laufe der Jahre aufgefallen ist, dass wir zb. Tonnen von Eisenschlacke, Millionen Abschläge, Hundertausende von Wandscherben einlagern. Ok, wir sind vom Gesetze her dazu verpflichtet, jedoch macht das in meinen Augen keinen Sinn. Die Einlagerung von tausenden Dingen des gleichen Typus empfinde ich als surreal. Zumal das 95% der Funde nach der Dokumentation im Magazin verschwinden und Jahrzehnte nicht mehr angefasst werden. Mit diesem Problem stehe ich ja nicht alleine da und die diskutierten Zentralmagazine sind auch keine Lösung, da diese auch irgendwann auch an ihre Grenzen stoßen. Daher denke ich das wir doch unser Messietum ablegen sollten und nur noch die wirklich relevanten Dinge einlagern und den Rest entsorgen. Zb. von den Scherben nur die Ränder und verzierten aufbewahren usw… Mir wird jetzt schon Übel bei dem Gedanken an die Stromtrassengrabung, die vor uns liegt. Wie denkt ihr darüber?
Servus und herzlich willkommen,
ich stimme dir zu, man muss nicht jeden Schlacketest aufheben. Zumindest nicht wenn eine Grabung und Auswertung abgeschlossen ist, macht das für mich keinen Sinn mehr. Auch bei Scherben nicht, zumindest nicht wenn keine Chance besteht weitere Teile der Keramik zu finden. Wenn die Grabung in der Nähe weiter gehen könnte, aber nicht gemacht wird (z.B. aus Zeitgründen), dann wäre das auch ein Grund das Material aufzuheben.
Gruß Shard
PS: Wenn ich alleine sehe was an Scherben aus meinem kleinen Garten zum Vorschein kommt, muss es echt irre sein was in den Lagern der Länder ist. Und bisher passt keine Scherbe zu einer anderen.
Wenn wie im genannten Fall keine Chance besteht weitere Scherben zu finden und diese völlig ausgewertet sind, könnte man unwichtige Stücke doch verkaufen und mit dem Geld neue Grabungen fördern.
Das Problem ist die Rechtslage. Von Gesetz her sind wir verpfichtet alles aufzubewahren. deswegen auch der Diskussionsanstoß. da muss sich was ändern
Unter Umständen könnten sonst ja unwichtige Funde wichtigeren den Platz wegnehmen
Servus,
ja, eine Änderung scheint sinnvoll, aber sie sollte wohlüberlegt sein um nicht einen Handel mit Bodendenkmälern anzuheizen… bei Schlacke erscheint mir das unwahrscheinlich
Gruß Shard
Das Verkaufen hat den Nachteil, dass diese Dinge eventuell irgendwann entsorgt werden und dann vielleicht wieder als Funde auftauchen. Bei der Magazinierung werden ja auch Unmengen an Energie für die Klimatisierung verbraucht…
Moin Little Joe,
Deine Einführung erinnert mich an einen Ehrenamtlichen, der Kiloweise Scherben sammelt, bis sich die Kartons und Kisten im Pkw bis unter die Decke stapeln, um sie dann ins Amt zu bringen. Sondenfunde kommen hinzu.
Eine Bodendenkmalpflegerin und zertifizierte Sondengängerin gibt sämtliche Funde aus Metall und auch Scherben sowie Steinartefakte ab.
Beide suchen in verschiedenen Bundesländern und beklagen lang ausbleibende Rückmeldungen bis gar keine (!), mangelnde Kooperation und in einem Falle das Desinteresse an Steinartefakten und Keramik.
Ich selber bin Augensucher in SH, lese hauptsächlich Steinartefakte auf - Keramikfunde gehen gegen null. Meine Funde werden sporadisch gemeldet.
Die amtlichen Dokumente zu den Funden bekomme ich als Kopie zurück. Der Fundverbleib bekommt den Eintrag “Beim Finder”.
Letzteres wäre sicher eine Möglichkeit, die Depots vorm Überlaufen zu bewahren, denn die Meldung und der Eintrag / Kartierung ist das Wichtigste.
Ein Allheilmittel kann es vermutlich nicht sein und insbesondere nicht für so ein Projekt, wie eure Stromtrassengrabung - die ist doch bereits im Gange, oder?
Und ja, es ist wie Du schreibst, mit diesem Problem steht ihr nicht alleine da. Gibt es denn dahingehend keinen gemeinsamen Austausch der LDAs? Ich fürchte, ich weiß die Antwort.
Gruß
Jürgen
Hallo Little Joe,
ja, eine durchschnittliche Stadtkerngrabung liefert alleine Keramik im 5 stelligen Bereich. Dazu kommen Knochen, Glas, Metall,… Wer sollte das kaufen wollen?
Eine Auswertung der Ausgrabungen ist, soweit ich weiß, in der Regel nicht vorgesehen, die Gesetze schreiben nur eine Dokumentation vor. Als Ausgräber kann ich mich auf schichtgebundene Funde konzentrieren, alles andere nur im Sinne von Belegstücken einsammeln und aufbewahren. Es sind trotzdem noch sehr große Mengen. Und eigentlich kann nur der Ausgräber entscheiden welche Funde wann wichtig sind. Als Beispiel nenne ich gerne Fensterglas, im 19. Jh. in großen Mengen im Boden, im Mittelalter dagegen eher weniger, im 13. Jh. sehr selten.
Die Trennung des Berufsfeldes in Ausgräber, Auswerter und ‘Verwalter’ verhindert auch den Wissenstransfer , die UD kann sich nicht in allen Fundkategorien aus allen Zeiten auskennen, viele Mittelalterarchäologen sind mit mesolithischen Feuersteinfunden überfordert, die Auswerter klagen über theoretische Defizite beim Ausgraben, usw.
In dem Zusammenhang möchte ich kurz auf die Konvention von Malta verweisen, die die Auswertung von Ausgrabungen vorschreibt.
Was bleibt? Unmengen von Material und Daten, die Hoffnung, alles werde im Rahmen von studentischen Abschlussarbeiten ausgewertet, und der Frust, sich allein gelassen zu fühlen.
Das Ganze wird seit Jahrzehnten diskutiert, vielleicht fällt jemandem hier eine praktische Antwort ein. Eine Rückkehr zu den Zeiten, als nur Edelmetalle und komplette Gefäße aufbewahrt wurden, kann nicht die Lösung sein. Hier in Brandenburg machen wir bei kleinen Untersuchungen z.T. nur Fotos von den Funden, und bewahren nicht jedes Stück auf. Aber das sind nur kleine Untersuchungen mit geringer Fundanzahl.
Also, was haben die Praktiker für Vorstellungen?
viel Spaß
Uwe
Hallo,
ich, als ehrenamtlicher “Feldbegeher”, kann das Problem nachvollziehen. Nicht nur bei Grabungen, auch beim Absuchen der Äcker fallen viele Scherben und Feuersteinabschläge an. Deshalb bin ich schon dazu übergegangen, von bekannten Fundstellen, wo etliches Fundmaterial vorliegt, eine Auswahl vorzunehmen.
So beschränke ich mich in der Regel bei vorgeschichtlichen Scherben auf diesen Flächen auf verzierte Fragmente, Scherben mit Profilierung und Randstücke. So mache ich es auch mit mittelalterlichen Scherben auf allen Äckern. Neuzeitliche Keramik nehme ich nur ganz selten mit.
Feuersteinabschläge ohne weitere Bearbeitungsspuren von den bekannten Fundstellen sortiere ich auch ab einer variierenden Menge aus. Oftmals mache ich das schon auf dem Acker, wohl wissend, dass man oft erst bei genauer Betrachtung interessante Details entdeckt.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob mein eigenmächtiges Handeln im Amt Anklang findet. Das Thema anzusprechen, ist schwierig.
Es stellt sich wirklich die Frage, wer darf entscheiden, was deponiert wird und was nicht. Im Zweifel muss man wohl doch alles aufheben.
Viele Grüße
Moin,
wie Uwe (@Schotte) schon anmerkte, wird das Thema schon seit einigen Jahren diskutiert, aber wie es scheint, bisher ohne Auswirkungen auf die Sammlungstätigkeiten. Inzwischen hat sich bei den Archäologen der Begriff „Massendinghaltung“ etabliert.
Hier aus einer Publikation (mit eben diesem Begriff als Titel) zwei Aufsätze:
Horten.pdf (1,2 MB)
Akkumulation.pdf (1,5 MB)
Zu einer möglichen sinnvollen Verwendung von überschüssiger „Massenware“:
Konvolute an entsprechende universitäre Fachbereiche als Anschauungs-/Übungsmaterial für Studierende geben. Vielleicht auch an Schulen? Voraussetzung wäre dann eine didaktische Aufbereitung, eine Unterrichtseinheit, die begleitend zur Verfügung gestellt wird.
Schlichte „Entsorgung“ muss wohl vermieden werden! Aber wie?
Und für mich bleibt die Frage nach der Art der Dokumentation: Analog (nach dem alten Karteikartenprinzip) oder digital. Oder beides? Denn wie lange werden/können Datenbanken und ambitionierte, frei zugängliche Internet-Projekte unter welchen Umständen überdauern? Das betrifft auch analoge Archive. Ich denke da an den Einsturz des historischen Archivs in Köln.
Zur Erheiterung ein Plakat für eine Ausstellung, das mich aus der Zukunft durch ein Wurmloch erreicht hat: Was herauskommen kann, wenn „Massenware“ nicht magaziniert und/oder dokumentiert wird.
LG Barbara
Hallo zusammen,
Eine interessante Diskussion, wie ich finde (auch wenn ich erst recht spät dazu stoße).
Einige meiner Gedanken zu dem Aspekt der “Wichtigkeit” bzw. der Frage, ob nur noch ausgewählte Funde aufbewahrt werden sollen:
Das Problem ist: Wer entscheidet, was wichtig ist und was unwichtig?
Und falls man z.B. im Rahmen von Forschungsprojekten oder einer Dissertation Statistiken erstellen will/muss, braucht man auch statistisch signifikante Stückzahlen. Statistische Auswertungen in der Archäologie sind eh schon schwierig - durch selektives Aufheben nur der “wichtigsten” Funde würden diese komplett ad absurdum geführt.
Es kommt auch durchaus vor, dass spätere Generationen von Wissenschaftlern die Wichtigkeit von Funden ganz anders beurteilen als die ursprünglichen Finder. So können z.B. auch unscheinbare Wand- oder Bodenscherben plötzlich wichtig werden, wenn es darum geht herauszufinden, was ursprünglich mal in den Gefäßen drin war.
Im Voraus kann man nicht wissen, welche Fragen später mal wichtig werden oder welche neuen Methoden irgendwann mal Analysen erlauben, an die wir heute gar nicht denken. Und dann wäre es schon ein Verlust, wenn man vermeintlich unwichtige Stücke “entsorgt” hätte.
Viele Grüße
Andreas
Nach vielen Diskussionen mit Kolleg:innen und Archäolog:innen, bin ich mittlerweile zu einer ernüchternden Erkenntnis gekommen. Es fehlt an Mut und Kompetenz bei diesem Thema. Lieber alles Aufheben, wer weiß was kommt. Aber damit ist niemandem geholfen.
Hallo Little_joe,
lass den Kopf nicht hängen, denn bald schaltet und waltet die KI ( künstliche Intelligenz) auch in den verstaubten Amtsstuben.
ZITAT:
…dazu gehört die Fähigkeit, Sinneseindrücke wahrzunehmen und darauf zu reagieren, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und als Wissen zu speichern, Sprache zu verstehen und zu erzeugen, Probleme zu lösen und Ziele zu erreichen. ENDE
Allerdings müssen dazu noch einige gesetzliche Vorschriften und Verordnungen geändert werden. Die Anträge müssen an mehrere zuständige Ämter per Fax verschickt werden und umfassen jeweils so im Schnitt 30 Seiten in dreifacher Ausführung.
Danach jeht dann alles ruckizucki über die Bühnens.Als isch so vor 80 Jahrens in die Schule jejangen wurde, da haben se jesacht, datt bald de jerosse Schulreformens kommen tut un dann wird alles besser jeworden sein. Ja, jut, dat is ja erst 80 Jahrens her un man kann ja in die kurze Zeitens keine Wunders erwarten tun. Dat tut schon noch alles kommen tun !
Gruß
Kurti
Moin Kurti,
wie wahr, wie wahr. Leider müssen die Entscheider diese Suppe nicht auslöffeln, sondern deren Knechte.
Aber so ist es in dieser Welt…
Gruß
Little Joe