Terminologie Archäologie Steinzeit

Schaber gegen Kratzer - die unendliche Story Terminologie

Aus der “Steinzeitbibel” schlechthin.

Einführung in die Artefaktmorphologie, Joachim Hahn,
Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten, 1993.

Quelle: Verlag Archaeologica Venatoria Institut für Urgeschichte der Universität Tübingen

Zitat:

9.5 Alt- und mittelpaläolithische Abschlagwerkzeuge
9.5.1 Schaber
Schaber (side scraper, racloir) gehören zu den einfachen Steinwerkzeugen. Der Name
stammt von der angenommenen Funktion und hat zur Verwechslung mit den Kratzern
geführt. Häufig werden als Schaber nur mittelpaläolithische Werkzeuge bezeichnet,
jedoch kommen gleiche Formen bis in das Neolithikum vor.

9.6 Jungpaläolithische Werkzeuge
9.6.1.1 Kratzer
Kratzer gehören zu den charakteristischen Werkzeugformen des Jungpaläolithikums,
treten vereinzelt aber bereits viel früher auf und können auch in neolithischen Inventaren
sehr hohe Anteile erreichen.

Zitat Ende

Und wie soll es anders sein - in dem derzeit aktuellem Floss ebenfalls:

Zitat Jürgen Richter Kapitel 29:

Schaber

Schaber kommen vom Altpaläolithikum bis ins Neolithikum vor.

Im gesamten Mittelpaläolithikum gehören sie zu den häufigsten Werkzeugformen.

Quelle: Steinartefakte vom Altpaläolithikum bis in die Neuzeit, Harald Floss Herausgeber,

© Kerns Verlag 2012

Zitat Ende


Es bleibt wohl eine neverending story.

Und aus vielfacher Erfahrung weiß ich, dass viele Archäologen (nicht nur die aus dem Norden), das locker sehen.

Eine weitere Erfahrung, einige andere postulieren ihre eigene Interpretation hartnäckig, obwohl Hahn und Floss in deren Bücherregal stehen.

Gruß

Jürgen

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Hmmm… Also wenn sich der Unterschied nicht aus der Epoche ergibt, dann muss doch ein Kratzer rein von Form und Gestalt Unterschiede zum Schaber aufweisen. Welche sind das?
Kannst du vielleicht Bilder von einem Schaber und einem Kratzer Posten?

Gruß Shard

In der Regel ist beim Schaber lateral eine flache, flächige Retusche angelegt, die Kratzerstirn ist distal und steiler.
Schaber sind typische Geräte im Paläolithikum, Kratzer gibt es ab dem späten Paläolithikum, sind aber typisch für das Neolithikum.
Es gibt aber auch Ausnahmen.

Viele Grüße

Okay, ich sehe schon das Thema ist nicht ganz einfach und die Frage nicht so leicht zu beantworten. Danke auf jeden Fall Mal an euch beide.

Ein paar Bilder zum besseren Verständnis wären super. :pray:

Gruß Shard

Ich habe gerade keinen Zugriff auf meinen Laptop, wo meine Fundfotos gespeichert sind.
Aber hier trotzdem ein Bild von einem Schaber:
seitlich 1
Und einem Kratzer:

Viele Grüße

Super! Ich glaube ich hab es immer noch nicht ganz verstanden, aber die Bilder helfen. :+1:

Hier Mal noch ein besseres Bild von einem neolithischen Kratzer:

Moin,

für Shard - Ergänzungen (Definitionen) der Zitate von Joachim Hahn.

Definition
Ein Schaber weist mindestens eine retuschierte Kante* oder ein retuschiertes breites
Ende auf. Die Retusche ist gewöhnlich recht ausgedehnt und erzeugt eine mehr oder
weniger breite Arbeitskante.

Ergänzung StoneMan: * Kante = lange Seitenkante (Laterale). Diese Seitenkante weist Retuschen auf.

9.6.1.1 Kratzer
Kratzer gehören zu den charakteristischen Werkzeugformen des Jungpaläolithikums,
treten vereinzelt aber bereits viel früher auf und können auch in neolithischen Inventaren
sehr hohe Anteile erreichen.

Definition
Kratzer sind an einem Ende* der Grundform durchgehend gebogen retuschiert mit einer
dorsalen Stirnretusche, die keine Rückenretusche ist, aber gewöhnlich die gesamte
Grundformdicke erfaßt. Der Winkel zwischen Ventralfläche und der Retusche schwankt
um etwa 60°.
Übergänge bestehen zu den Schabern, vor allem zu den schmalen Breitschabern einerseits
und den Endretuschen andererseits.

Ergänzung StoneMan: * Ende = Schmalseite am Ende (basal / terminal). Dieses schmale Ende ist bogenförmig modifiziert / retuschiert = Kratzerkappe / Kratzerstirn.

Vielleicht hilft das schon. Eigene Beispiele / Funde muss ich erst sichten.

Gruß

Jürgen

Ich glaube ich verstehe es langsam. Habt ihr noch das Bild eines Schabers in den verschiedenen Ansichten?

Gruß Shard

Von dem oben gezeigten Schaber in der seitlichen Ansicht habe ich noch die Dorsalseite (Rücken):
dorsal
Und die Ventralseite mit ausgeprägtem Schlagkegel (Bulbus):
IMG_20230715_083502
Schlagkegel:
IMG_20230715_084057

Ich glaube ich verstehe es langsam. Habt ihr noch das Bild eines Schabers in den verschiedenen Ansichten?

Gruß Shard

Moin,

@ Shard,

die verschiedenen Ansichten sind nicht das Wesentliche.

Auf die Schnelle hier mal eine Skizze, was den Unterschied ausmacht.

Gruß

Jürgen

Edit > Skizze ausgetauscht

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Super Jürgen, jetzt hab ich’s auch verstanden!

Gruß Shard

Moin Shard,

prima, ich verspreche Dir, damit ist das Problem nicht für alle Fälle beseitigt :sunglasses::wink:, nicht nur für Dich, selbst Leute vom Fach müssen mitunter die Schultern zucken.

Schaber können auch bilateral, an beiden Kanten, eine Arbeitskante aufweisen.
Kratzer gibt es auch als Doppelkratzer.

Es gibt leider nicht immer die klar “genormten” Geräte.

Gruß

Jürgen

Ja, hab ich mir schon gedacht. Aber jetzt weiß ich schon mal den grundsätzlichen Unterschied. Bei den Spezialfällen bin ich eh raus. :sweat_smile:

Gruß Shard

Hallo Steinefreunde :slightly_smiling_face:
was ich aber vermisse oder habe ich es überlesen ist die Funktionserläuterung von Schaber/Kratzer.
Ein Schaber ist weitestgehend als Schneidewerkzeug also als Messer anzusehen. Ein Kratzer hat eine gänzlich andere, also eine nicht schneidende Funktion.
Beste Grüße

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Hallo Bucentaur,

mit gänzlich anderer Funktion meinst du dann tatsächlich schabend/kratzend? Also zum Beispiel um Fleisch von Fell zu schaben? Wobei da ja so kleine Dinger etwas unpraktisch sind…

Gruß Shard

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Hallo,
mir ist das mit den Kratzern im Neolithikum auch schon längere Zeit unklar. Auf meinen bandkeramischen Fundstellen ist n Mitteldeutschland stellen Kratzer die häufigste Art der Geräte-Funde dar. Lateral retuschiere Klingen sind, entgegen meiner Erwartung, eher selten, meist weisen sie Gebrauchsglanz auf, welcher sie als Erntegeräteeinsatz ausweist. Auch diese haben meist eine Endretusche. Diese sind gerade, schräg und konkav angelegt, aber auch seltener konvex, was manchmal auf eine Zeitverwendung hinweisen könnte. Ich habe aber auch Mal die Kratzerfunde ohne Sichelglanz durchgesehen. Viele der Kratzer wären auch als Sicheleinsatz zu verwenden gewesen. Das heißt, viele konvexe Endretuschen sind eventuell gar keine zum Kratzen verwendeten Geräte gewesen.
Zum Gebrauch von Kratzern gibt es sicher etliche Möglichkeiten. Neben der Fellbearbeitung fällt mir da noch Holzbearbeitung ein. Unter anderem könnten Löffel damit gefertigt worden sein, die man zum Löffeln von Brei sicher gut verwenden konnte.
Was aber bemerkenswert ist, es gibt wohl im Neolithikum recht wenig Schneidegeräte wie Klingen zum Schneiden von Fleisch. Was natürlich an der vorwiegend vegetarischen Ernährung liegen kann.

Viele Grüße

Servus,

theoretisch braucht man ja nicht viele Schneidwerkzeuge. Eine Klinge pro Sippe würde theoretisch reichen. Zumindest wenn es nicht gerade um Mammuts geht. Ein langer Schnitt um das Tier zu öffnen, Eingeweide raus, Fell abziehen und dann ab aufs Feuer. Sobald es gar ist, braucht man keine Klinge mehr, das geht auch mit Fingern. Oder einer mit der Gemeinschaftsklinge schneidet jedem was ab.
Und mehr als eine Person an einem Tier würde bedeuten, dass man sich gegenseitig behindert.

Gruß Shard

Hallo Shard,

da hast du natürlich Recht. Und Mammuts gab’s im Neolithikum nicht mehr.

Ich trinke weiter Kaffee um im
Satz zu lesen!

Hallo,
ein weiterer Unterschied zwischen Schaber/Kratzer.
Der Schaber war in seiner schneidenden Funktion ein “reines” Handwerkzeug, der Kratzer hingegen fand wohl vorwiegend geschäftet Verwendung, daher rührt auch relativ häufig ein Schäftungsglanz der aber durch lose hin und her Bewegung in der Schäftung entstanden ist. Gebrauchsglanz an einem Kratzer konnte ich jetzt bei den vielen hundert aufgelesenen Kratzern erst an einem einzigen feststellen. Anscheinend gibt es doch relativ große Unterschiede zwischen Nord und Süd.
Die große Anzahl vorliegender Klingen aus den neolithischen Siedlungsbereichen dienten kurz und zusammenfassend ausgedrückt meist zum schneiden von Schilf und Getreide.
Beste Grüße

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