Neues zu den augusteischen Römerstützpunkten in Mitteleuropa

@hns

Hallo Nikolaus,

Ha, so dachte ich noch vorgestern — schön blöd bin ich gewesen!

Aber dazu in ein paar Tagen mehr. (Sanft anschwellender Trommelwirbel)

Vorerst hier noch weitere Punkte bei Beibehaltung und sogar Verbesserung des Quotienten. Bei 14 Punkten waren wir ja schon, wenn man Bentumersiel mitzählt — das aber jetzt vorerst rausgeflogen ist und dem neuen 14. Punkt Platz macht, nämlich Aguntum :

Der 15. Punkt, Hedemünden, lässt, der Randlage und Kurzlebigkeit geschuldet, den Quotienten wieder etwas absinken:

Nummer 16, Astorga (AUGUSTA ASTURIA), sorgt wieder für eine leichte Anhebung des Quotienten:

Fortsetzung folgt …

Und weiter geht es mit dem 17. Punkt, Auch (AUGUSTA AUSCORUM ), der den Quotienten marginal verbessert:

Zu guter letzt für heute Punkt 18, Braga (AUGUSTA BRACARA ), das mit sage und schreibe 9 relevanten Distanzen nochmal für ordentlich Aufwind sorgt:

Fortsetzung (19, 20 und 21) folgt, aber frühestens morgen.

Es werden bis dahin noch Wetten auf den finalen Quotienten angenommen! :rofl:

Gruß, Timo

Hallo Timo,

hier noch ein anderer Aspekt.
Kannst Du grob abschätzen, wieviel Aufwand in einer solchen römischen Vemessung stecken und welche Ressourcen über welchen Zeitraum dort hingesteckt hätten werden müssen?

Gruß,
Hugin

Hallo Hugin,

der benötigte Aufwand scheint erst einmal enorm, aber Augustus verfügte auch über enorme Kapazitäten und hatte von seinen ersten Gründungen in Spanien (~ 35 BCE) bis Barkhausen und Hedemünden ab 12 BCE viel Zeit, in der sich die Vermesser seiner Legionen von Lissabon bis an die Elbe vorarbeiten konnten.

Wenn man dann bedenkt, dass unter Gauß ein ganz kleines Team in sieben Jahren das ganze Königreich Hannover vermessen hat und dagegen Augustus über 28 Legionen und gut dreimal so viel Zeit verfügte, dann reduziert sich der Aufwand auf den normalen Dienstplan der Legionsvermesser.

Nebenbei kann ich zum Wochenende die ganz große Überraschung ankündigen. Mir ist, ganz entscheidend mit Eurer Hilfe, endlich gelungen, den Schleier über dem ganzen ‘Liniengewirr’ zu lüften und die rechtwinklige Schönheit darunter aufzudecken.

Immer wieder habt Ihr bemängelt, wie ‘unrömisch’ chaotisch Vieles in meinen Karten wirkte. Zuletzt war es Nikolaus, der schrieb:

Das war dann für mich der Anlass, auf Basis des ‘Fastquadrats’ nach einem solchen Gitternetz zu suchen — und ich habe es gefunden!

Aber bevor ich Euch das präsentieren kann, muss ich noch die drei Karten aufbereiten, die dort hinführten. Dazu bin ich heute leider noch nicht gekommen, weil ich fasziniert immer neue Aha-Erlebnisse in und um das neu entdeckte System hatte.

Gruß, Timo

Das römische Vemessungsnetz (endlich) entschlüsselt?

Liebe Freunde, ich kann es nicht länger aufschieben — hier nun also ein erster Blick auf das aufregende Ergebnis, dass sich ausgehend von unserem ‘Fastquadrat’ (hier rot eingefärbt) ergab:

Hier eine projektionslose (unverzerrte) Darstellung des Kerns der Sache — simpelste Geometrie, und doch so schön:

Plötzlich ergibt alles einen Sinn: die Häufung rechter Winkel wie auch die immer gleichen diskreten Distanzen. Und das wird alles noch viel besser!

So verläuft einer der konstruierten Großkreise des mutmaßlichen römischen Gitters überraschend exakt über den Vicus Lindfeld in Lenzburg, um nur eine Kleinigkeit am Rande zu erwähnen:

Gruß und Dank an Euch alle,
Timo

Und hier eine Weltpremiere auf forum.archaeologie.online:

Die Rekonstruktion einer Karte des römischen Reichs auf Basis des mutmaßlichen römischen “Gradnetzes” (Pre-Alpha-Version)

[Die umkringelten Orte tragen August- im Namen]

Es ist kaum fassbar, wie gut das alles zusammenpasst.

[Das mir bis heute Morgen völlig unbekannte Nest Luc-en-Diois trug in der römischen Antike offenbar den selben Namen wie Lugo — Lucus Augusti.]

So sieht das nebenbei in Google Earth aus (unten links ergab sich zwanglos der Vulkan Teide auf Tenerifa als mutmaßlicher Anfangspunkt):

Und so sieht das dann wiederum in der mutmaßlichen Römerkarte aus:

Distanz Teide–León: 17° -0.6%

Zum Teide aus Wikipedia:

Der einzige überlieferte explosive Ausbruch erfolgte um 50 v. Chr. an der Montaña Blanca an der Ostflanke des Teide, während der Bimsstein und Asche aus einer 15 km hohen Eruptionssäule niedergingen. Es handelte sich um etwa 0,25 km³ blasenfreies Magma (DRE).[5]

Eine 15 km hohe Eruptionssäule hätte es ermöglicht, den Teide von Hispanien anzupeilen…

:wink:

Gruß, Timo


PS: In der Karte ist ein dezenter Kopierschutz enthalten. :wink:

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Servus,

jetzt muss ich nochmal genauer nachfragen welche Orte du berücksichtigst. Also Orte von Augustus sind klar. Die Orte vor Augustus und nach Augustus nicht mehr?

Ich habe gerade Mal einfach römische Orte gegoogelt und die meisten bestanden schon vor Augustus. Von Augustus gegründet gibt es ja nur ein paar Hände voll und selbst die scheinen zum Großteil vorher bestanden zu haben.

Gruß Shard

In dieser Karte sind auch vorrömische und voraugusteische sowie nachaugusteische römische Gründungen berücksichtigt.

Vorrömisch sind Lissabon, Berja, Rennes und eventuell Auch. Valencia ist eine voraugusteische römische Gründung.

Augusteische Gründungen sind Orange (35 BCE), León (29 BCE), Troyes, sowie Antwerpen, Heerlen, Trier, Augsburg und Hedemünden.

Von Italien und Griechenland abgesehen, die hier außer Konkurrenz laufen, sind alle anderen Orte römische Gründungen, die teils aber erst in claudischer Zeit archäologisch habhaft werden, wie etwa Carnuntum und Aguntum in Österreich.

Colchester ist ein Spezialfall, da schon Caesar hier war und es dann später nach der zweiten römischen Invasion Englands unter Claudius vorrübergehend römisches Hauptquartier wurde. Es passt aber so gut, dass es unbedingt mit hinein gehört.

Zu Frankreich ist noch anzumerken, dass dort im 19. und 20. Jahrhundert praktisch generell galt, es habe unter den römischen Gründungen stets eine gallische Vorgängersiedlung gegeben. Auch in der Schweiz pflegte man dieses patriotische Bild, aber heute ist ziemlich klar, dass es mangels Nachweises keine vorrömischen Oppida etwa in Avenches und Solothurn gegeben hat, und somit diese Ort Neugründungen nach der Niederlage gegen die Römer gewesen sind. Was wiederum mit Caesar übereinstimmt, der berichtet, er habe den besiegten Helvetiern neue Wohnplätze (in ihrer alten Heimat) zugewiesen.

Daher sind die Wikipedia-Artikel teils mit Vorsicht zu genießen, was auch an der Definition liegt, was eine Stadt ist. Eine römische civitas umfasste schließlich auch das Umland — daher kann man auch ein mehrere Kilometer entferntes altes Oppidum als die gleiche Stadt verstehen.

Oft liest man auch, eine Stadt sei schon vor den Römern von Kelten bewohnt gewesen, auch wenn nur innerhalb der modernen Großstadt irgendwo ein Gallierdorf gefunden wurde.

Nur 100% garantiert römische bzw. augusteische Neugründungen findet man nur am und östlich des Rheins — wo ich schließlich die allerersten gesichert römischen rechten Winkel gefunden hatte.

— Noch einige Worte zu der projektionslosen Karte mit um 45° gedrehtem Schachbrettmuster. Zunächst war das nur ein Experiment, um zu schauen, ob es über weitere Räume überhaupt einen Sinn ergibt.

Überraschenderweise funktioniert das System aber erstaunlich gut, und wie man sieht nicht nur in einer Richtung. Überhaupt ist es perfekt für die Hauptrichtungen des römischen Reichs: der italische Stiefel, Hispanien–Gallien–Germanien sowie die Donauroute von Illyrien über Pannonien und Noricum nach Rätien.

Und es ist erstaunlich einfach, Orte ohne den gewohnten Kartenhintergrund korrekt zu platzieren, siehe die Hilfslinien durch Auch und Troyes.

Übrigens entsprechen die waagerechten Linien nicht etwa unseren Breitengraden, die mit Ausnahme des Äquators Kleinkreise sind die Ost-West verlaufen, sondern es sind Großkreise, wie alle anderen Linien in dieser Karte. Für Kompassnutzer wäre das sehr unpraktisch, weil Breitengrade wie Bussolenpeilungen auf der Karte als gebogene Linien erscheinen würden. Aber den Kompass kannte die Antike ja noch nicht.

Gruß, Timo

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Danke für die ausführliche Antwort!

Gruß Shard

Hallo @Shard,

ich danke für das Interesse! Da gibt es sicher noch viel zu klären und erklären.

Hier ist ein Update der Karte, dazu einige Anmerkungen:

  • Ganz oben wurde durch Pfeile die wandernde Nordrichtung dieser Karte kenntlich gemacht

  • Nur im Bereich der zuvor schon auffälligen, sehr genau Nord-Süd verlaufenden (grünlichen) Linie Aosta–Olfen—Bentumersiel (6° bis Olfen, 7.5° bis Bentumersiel) ist Norden wirklich ‘oben.’

  • Sehr überraschend die 11° [ -0.1% !] zwischen Thessaloniki und Alexandria, die gut ins Bild zu passen scheinen

  • In Gelb der Verlauf der nahezu schnurgeraden Via Aemilia zwischen Piacenza und Rimini, die noch aus republikanischer Zeit stammt

  • Germanien muss noch mal tiefer eingezoomt werden, weil da natürlich viel mehr Punkte und damit Distanzen und Winkel mit hinein gehören, die hier schon behandelt worden waren — da kommen wir dann bekanntlich in den Bereich der Viertelgrad-Distanzen

  • Punta Meliso, falls sich jemand wundert, ist der Punkt an der Südspitze Apuliens, der traditionell die Adria vom Ionischen Meer trennt (also für Geografen sehr interessant)

Nebenbei wird verständlich, warum Augustus schon aus ästhetischen Gründen so großen Wert auf Germanien links der Elbe (inklusive Böhmen links der Moldau) legte. Die Linie von Niš über Belgrad nach Carnuntum liefe weiter über Prag und Magdeburg bis zur Elbmündung. Letzterer Ort war seiner Flotte jedenfalls bekannt.

Von Hamburg ist es klar, dass sie dort vorbei geschippert sind, aber auch Magdeburg und Prag könnten durchaus erreicht worden sein. Beide Orte liegen jedenfalls so genau auf dieser Linie und jeweils am Grenzfluss, dass man ernsthaft über ursprünglich römische Lager nachdenken könnte…

Grüße, Timo

Gibt es eigentlich einen Grund warum Lyon (Lugdunum) nicht auf der Karte ist? Gründung 43BC passt zeitlich gut rein und war dann auch noch Verwaltungszentrum von Gallien. Man sollte meinen, dass der Ort gut gewählt worden sein sollte.

Gruß Shard

Der einzige Grund ist, dass ich nicht wieder den Fehler machen will, gleich zu viel in die Karten zu hauen. Dass Lyon natürlich eine große Rolle spielte, sieht man schon daran:

Längendaten [° E]:

4.863 Namur
4.836 Beaune
4.832 Mâcon
4.822 Lyon
4.807 Orange
4.806 Avignon

Die Abweichung von Nord-Süd beträgt hier gerade zwischen 0.3 und 0.4 Winkelgrad und ist stetig. Allein das ist ein bisschen viel für einen Zufall.

Aber hier greifen wir schon vor zu einem offenbar überlagernden Netz aus Nord-Süd-Linien und echten Ost-West-Breiten, das alles noch einmal faszinierender macht — dazu später mehr. [1] :wink:

Gruß, Timo


[1] An der Stelle eine technische Frage an Leute mit Rot-Grün-Sehschwäche: Welchen Farbton sollte ich optimal wählen, um das Rot des “Maschendraht-Gitters” zu kontrastieren? — Der Unterschied der beiden Systeme sollte für jeden gut erkennbar sein.

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Nebenbei stelle ich gerade fest, dass die deutschsprachige Wikipedia nichts von der römischen Vergangenheit Namurs erwähnt.

In den franko- und anglophonen Versionen liest sich das anders:

Namur est une ville historique, dont la première urbanisation remonte à la conquête romaine.

The Romans established a presence after Julius Caesar defeated the local Aduatuci.

:wink:

Gruß, Timo

Hallo zusammen!

(@kurti, @hns, @hugin — geht es Euch gut?)

Hier einmal ein netter Beifang, sozusagen. Lese ich doch gerade im entsprechenden Wikipedia-Artikel zu Marcus Vipsanius Agrippas Lehrjahren, er sei von Julius Caesar zusammen mit seinem Jugendfreund Octavius, dem späteren Octavian und noch späteren Caesar Augustus nach Apollonia geschickt worden — das im heutigen Albanien liegt — “wo sie die Zeit bis zum Beginn von Caesars geplantem Krieg gegen die Parther zum Studium nutzen sollten”.

Prima, denke ich, ein Ort in Albanien, wo ich mich so gar nicht auskenne, mit Agrippa/Augustus-Bezug — also mal schnell die Koordinaten in die aktuelle ArcGis-Karte eingegeben, mit diesem Resultat:

Bei nur gut zwei Fußballfeldern “daneben” auf einem Großkreis von Neuss (vermutlich ältester römischer Stützpunkt am Rhein) über Augsburg und Aguntum nach Chania, dem noch älteren ersten römischen Stützpunkt auf Kreta, könnte man wohl sagen, die Hypothese habe sich hier als nützlich erwiesen (auch wenn Apollonia schon lange bekannt gewesen ist).

:wink:

Gruß, Timo

Update

Jetzt ist amtlich — es gab neben dem vermuteten reichsweiten um 45° gedrehten Gitter noch weitere, regionale, Gitter (die aber zumindest im folgenden Fall weitaus größer waren, als nur der Parzellierung gedient zu haben). Darum sahen die Karten ‘mit Allem’ immer so chaotisch aus. :wink:

Eines dieser Regionalgitter, von dem einzelne Elemente hier über die Jahre schon vorkamen, erstreckte sich im Wesentlichen über die spätere Provinz Obergermanien (Germania Superior ), mit Ausgreifen nach Rätien, Noricum und Italien.

Die Karte wurde diesmal in Google Earth erstellt, weil die Darstellung der Großkreise hier besser ist und die Projektion weniger verzerrt als in ArcGis.

Und beim Herauszoomen passt da noch eine weitere italische Stadt:

Besonders schön sind hier nicht nur die Winkel [1], sondern auch die klaren chronologischen Verhältnisse:

  • Der älteste Römerstützpunkt ist hier Oderzo (Opitergium), das schon im 2. Jahrhundert BCE unter römische Herrschaft gekommen war, und dann wichtige Straßenstation an der 148 BCE fertiggestellten Via Postumia wurde

  • Unter Caesar wurden Besançon und Metz zu wichtigen Straßenstationen und Garnisonsstädten

  • Augst soll gemäß einer antiken Schriftquelle schon 44 BCE gegründet worden sein, ist aber archäologisch erst ab augusteischer Zeit greifbar

  • Alle anderen Punkte auf der Karte sind teils ganz sicher und teils sehr wahrscheinlich [2] augusteische oder spätestens tiberische Gründungen

  • Pons Drusi, die ‘Brücke des Drusus’ muss sich in oder nahe Bozen befunden haben, eine ganz genaue Lokalisierung liegt aber nicht vor

  • Die Linie Studen–Windisch ist in der Forschung schon lange als zuweilen so genannter ‘Aare-Decumanus’ bekannt

Sehr schön ist natürlich auch die ‘Absicherung’ durch die 100% augusteische Linie Aosta–Augst–Mainz.

Zum erst kürzlich entdeckten augusteischen Militärlager auf dem Colm la Runga hier mehr:

Soweit der Stand der Forschung. :wink:

Euch allen einen geruhsamen Abend und ein eben solches Wochenende wünschend grüßt
Timo


[1] Beim ‘schlechtesten’ Winkel, den 89.5° in Mainz mit Metz und Kempten verläuft die lange Kathete über Württemberg, wo römische Aktivität erst ab spät-tiberischer Zeit fassbar wird. (Die Berechnung der Winkel erfolgte nebenbei hier — danke Arndt!)

[2] Ein Beispiel: In Olten mussten die Römer die Aare überqueren, wenn sie nach Windisch wollten — oder 90° links abbiegen, wenn es über den Hauensteinpass nach Augst und ins Oberrheintal ging. Auch ohne archäologischen Nachweis aus dieser Phase kann es daher kaum einen Zweifel geben, dass dieser Ort einer strategisch äußerst wichtigen Brücke und T-Kreuzung auf der römischen Hauptstraße durch Helvetien von vornherein Teil der Planung gewesen sein muss.